Fussball Weltmeisterschaft 2014

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Für das brasilianische Fussballpublikum wird “Brasilien 2014” die „Fussballweltmeisterschaft der Korruption“ werden. Eine bisher unveröffentlichte Untersuchung zeigt, dass die WM bis jetzt äusserst negative Gefühle weckt. Für acht von zehn Personen wird Brasilien einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Die Geschichte der Fussball-Weltmeisterschaften hat gezeigt, dass die Chancen der jeweiligen Gastgeber-Mannschaft steigen, wenn sie ihre Titelpartien zuhause spielen kann. Es scheint jedoch, dass diese Retrospektive inzwischen keine Gültigkeit mehr hat – in den letzten drei Jahrzehnten konnte lediglich Frankreich 1998, einen Weltmeistertitel als Gastgeberland erringen. Ein anderer Vorteil, den man einer Weltmeisterschaft zuschreibt, ist ein Impuls im Wirtschaftswachstum der Nation, die ein solches Fest ausrichtet. Jedoch auch dieser positive Effekt provoziert Widersprüchlichkeiten: Für viele Wirtschaftsexperten wird sich die Stärkung des PIB (Brutto-Inlandsprodukts) im Jahr der WM, während der Folgejahre wieder pulverisieren, wenn die Gewinne aus diesem Event verschwunden sind, und nur die Rechnungen der von der FIFA verlangten, monumentalen Bauwerke übrig geblieben sind.

Darüber hinaus gibt es noch eine andere Auslegung einer WM zuhause, etwas, das einen offensichtlicheren und direkteren Schock auslöst, obwohl es etwas schwieriger ist, ihn zu messen. Dabei handelt es sich um eine mächtige Spritze von Vertrauen und Nationalstolz, die in der Bevölkerung ein euphorisches Klima hinsichtlich der Chance auslöst, nun dem Rest der Welt den Erfolg ihres Landes vor Augen führen zu können.

Nach einem Ozean von dreifarbigen Fahnen, die Deutschland im Jahr 2006 bedeckten, und nach dem Röhren der “Vuvuzelas“, die Südafrika im Jahr 2010 vereinten, läuft die WM Gefahr, ihren bitteren Anti-Klimax 2014 zu erleben – ausgerechnet in einem Land, das vom Fussball fasziniert ist und, so sagt man, dessen Volk auch Erfahrung hat in der Organisation grosser Events. Wenn es nach den derzeitigen Erwartungen des brasilianischen Fussballpublikums ginge, wird die WM in Brasilien eine aufsehenerregende Enttäuschung werden – vielleicht sogar eine nationale Schande. Kaum einer, der mit der Aussicht auf die WM zufrieden wäre. Und noch weniger Menschen sind begierig darauf, am grössten sportlichen Event des Planeten in ihrem eigenen Land teilnehmen zu können.

Weniger als drei Jahre vor Beginn der WM hat sich die renommierte Zeitschrift Veja unter ihre Leser begeben, um vor Ort die Gefühle des Publikums hinsichtlich 2014 zu registrieren. In einer Meinungsumfrage zwischen dem 20. und 25. Juli (2011) antworteten 1.879 Personen aller Regionen des Landes auf 12 die WM betreffende Fragen. Diese Leser wurden über die Vorbereitungen des Landes befragt, über die Rolle der Regierung bei diesem Event, über die von der Realisierung des Events ausgelösten Gefühle und, ganz klar, natürlich auch über die Chancen der brasilianischen Mannschaft. Das von den Resultaten dieser Umfrage gezeichnete Szenario ist schlichtweg verhängnisvoll! In sämtlichen zwölf vorgelegten Fragen war die Meinung der Mehrheit negativ. Und noch alarmierender für die FIFA, den CBF und die Regierung – die Verantwortlichen für die Wahl Brasiliens als Gastland, für die Organisation der WM und für die Ausführung der bedeutendsten Bauarbeiten – ist die Dimension dieses Pessimismus.

In nicht einer einzigen Frage der Untersuchung gibt es ein Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Antworten. Die schlimmsten möglichen Optionen wurden von einer soliden Mehrheit der Umfrageteilnehmer wahrgenommen. Die breiten Zwischenräume, welche den Prozentsatz der Positiven von den Negativen trennt, lassen keine Zweifel aufkommen: Die WM 2014 kann heute das brasilianische Fussballpublikum weder begeistern noch für sich einnehmen – aber sie weckt Scham hinsichtlich des Ansehens der Brasilianer im Ausland und provoziert Unzufriedenheit wegen den exzessiven und unintelligenten Ausgaben der Steuergelder für die Bauvorhaben. 34 Monate vor der Eröffnung – festgelegt auf den 12. Juni 2014 im Stadion Maracanã in Rio de Janeiro, ist noch genügend Zeit, um diese Meinungen etwas zu entschärfen – besonders wenn diese Bauvorhaben endlich aus ihrer Projektierungs-Phase heraus sind und anfangen Wirklichkeit zu werden. Es ist zu erwarten, dass sich die Brasilianer ein wenig aufmuntern lassen, wenn sie das Klima der WM endlich zu spüren bekommen. Bis jetzt allerdings, ist die WM ein Fiasko – wenn man die folgenden Zahlen aufmerksam verfolgt.

estadio-maracanaEins der bedeutendsten Argumente derer, welche die Vorteile einer WM-Veranstaltung in Brasilien verteidigen, ist die seltene Gelegenheit, dem Rest der Welt die brasilianischen Tugenden vor Augen zu führen. Auf dem Höhepunkt des wirtschaftlichen Szenarios und mit wachsender Relevanz in der internationalen Gesellschaft, könnte Brasilien die WM dazu benutzen, sich vor den anderen Nationen neu zu erfinden, um sein altes Image des “Landes mit einer Zukunft, die niemals Realität wird“, hinter sich zu lassen. Für 78% der Teilnehmer an der Veja Meinungsumfrage allerdings steht fest, dass die ausländischen Besucher der WM 2014 mit einem schlechten Eindruck nach Hause zurückkehren werden. Nur zwei unter jeweils zehn Personen glauben, dass der allgemeine Eindruck der Weltmeisterschaft positiv sein wird.

Die Fussball-WM’s pflegen im Allgemeinen positive Assoziationen in den Köpfen der Fans auszulösen – auch dann, wenn ihre Mannschaft nicht Champion wird. Worte wie “Sieg“, “Fest“ und “Erfolg“ werden regelmässig in Verbindung mit der Teilnahme an einer WM benutzt. Gemäss den Veja-Lesern jedoch, gibt es andere Bezeichnungen – sehr viel negativer – die besser in den Kontext der “Copa 2014“ passen. Unter den sechs in der Umfrage vorgeschlagenen Worten waren drei negativ, und drei waren positiv. Allen anderen Bezeichnungen weit voraus galoppierte in der Meinung der Leser das wohl stärkste und schwerwiegendste Wort überhaupt.

In der allgemeinen Überzeugung, dass es Verschiebungen der Steuergelder geben wird, überhöhte Rechnungen bei den Bauvorhaben, Austausch von Gefälligkeiten zwischen den Organisatoren und Verschwendung von Ressourcen, wurde das Wort “Korruption“ von sieben unter jeweils zehn Befragten erwähnt, um damit die WM in Brasilien zu definieren. Vielleicht gerade deshalb ist der an zweiter Stelle rangierende Terminus ein weiterer Ausdruck solcher negativer Gefühle – er heisst “Enttäuschung“ – für 12% der Teilnehmer ist er der typische Begriff, der diese kommende WM charakterisiert. Alles das, was die Brasilianer wahrscheinlich unter anderen Umständen von einer WM “zuhause“ erwarten würden, blieb auf der Strecke: Der Terminus “Fest“ (wurde von 7% zitiert), “Erfolg“ (von 3%) und Sieg (nur von 2%).

Die Idee der WM in Brasilien fing schon an mit einem nicht eingehaltenen Versprechen: Nachdem das Land als Gastgeber für die Durchführung des Turniers gewählt worden war, versuchten Regierung und CBF (Brasilianischer Fussballbund) die Kritiken hinsichtlich der notwendigen immensen Ausgaben für einen solchen Event zu umgehen, indem sie erklärten, dass sämtliche Um- oder Neubauten der hiesigen Stadien von Privatinitiativen oder entsprechenden Partnerschaften mit der Regierung übernommen würden. Bald darauf wurde jedoch klar, dass dies unmöglich ist. Und es begann das Fest der Verschwendung von öffentlichen Geldern bei der Konstruktion und der Reform der WM-Bühnen. Dieser Punkt erfährt allerdings nur die Zustimmung von 15% der Untersuchungs-Teilnehmer – die anderen 85% sind gegen die Nutzung von Steuergeldern auf Fussballfeldern. Die Ablehnung wird noch grösser, wenn es sich darum handelt, grosse Geldsummen – aus öffentlichen oder privaten Geldern – zur Neukonstruktion von Stadien in Städten zu verwenden, die bereits eine Bühne für Fussballspiele besitzen.

itaquera-sao_pauloGenau das wird nämlich in São Paulo passieren: Das Morumbi-Stadion, eins der traditionellsten Schauplätze des brasilianischen Fussballs, könnte reformiert werden, wurde aber übergangen, um dem Corinthians-Verein öffentliche Gelder für die Neukonstruktion eines Stadions zu übergeben, dessen Kosten allein um die 800 Millionen Reais (320 Millionen Euro) betragen werden. Recife (Hauptstadt des Bundesstaates Pernambuco) ist ein weiteres Beispiel für eine Stadt, die bereits ein Stadion besitzt, aber ein neues nur wegen der WM bekommt. Und weil sämtliche Investitionen sich auf die WM-Stadien zu konzentrieren scheinen, hat die Bevölkerung den Verdacht, dass von der WM wenig an realem Profit für sie selbst übrig bleiben wird. Ein Drittel der Teilnehmer der Untersuchung nimmt an, dass ihrem Land, ausser den Fussballstadien, auch sonst ein positives Vermächtnis bleiben wird – die anderen Zweidrittel glauben nicht, dass durch die WM-Veranstaltung ein Fortschritt in der Infrastruktur, der Sicherheit oder in anderen Aspekten erzielt werden wird.

Seit die FIFA bekannt gab, dass die WM 2014 in Brasilien stattfinden würde, beschäftigt ausser Korruption und unnötiger Ausgaben der öffentlichen Gelder noch eine andere Sorge das brasilianische Fussballpublikum: Das Risiko, dass die versprochenen Bauarbeiten für 2014 nicht rechtzeitig fertig werden könnten. Und die letzten Monate haben diese Sorge noch verstärkt: Die FIFA selbst hat in der Öffentlichkeit ihrem Zorn über die zögerlichen Vorbereitungen zum Baubeginn in verschiedenen Stadien Luft gemacht. Die notorischen Verspätungen von Reformen und Neukonstruktionen machen den Organisatoren der WM die meisten Kopfschmerzen. Heute glauben nur 12% der von Veja Befragten, das bis 2014 alles so wie versprochen fertig werden wird. Für die anderen 88% wird sich die WM mit halbfertigen Bauwerken und improvisierter Infrastruktur begnügen müssen. Für 79% ist bei einem möglichen Flop die Zentralregierung die Verantwortliche.

Der CBF hat die Kandidatur der WM organisiert und kommandiert auch das lokale Organisations-Komitee, aber er wird als Verantwortlicher für ein eventuelles Fiasko nur von 14% zitiert. Die FIFA, die Brasilien die Chance zugespielt hat, die WM zu veranstalten und jetzt dem Land mit nicht enden wollenden Ansprüchen im Nacken sitzt, wird nur von 4% der Befragten als verantwortlich für ein Fiasko genannt.

Abgesehen von der alarmierenden Situation der für die WM projektierten Stadien – von den zwölf befinden sich lediglich vier innerhalb des Zeitplans, weitere drei sind sehr verspätet – ist dies nicht die schlimmste Sorge des Fussballpublikums hinsichtlich 2014. Gewöhnt an eine Routine von Verspätungen und Engpässen auf ihren Flughäfen, bezeichneten sie die zivile Luftfahrt als den Sektor, dem im Moment ihre grösste Sorge gilt. Unter den vier aufgeführten Optionen der Untersuchung wurden von der Hälfte der Befragten die Flughäfen als grösstes Problem Brasiliens, drei Jahre vor der WM, bezeichnet. Unter den zwölf Austragungsorten, haben acht Flughäfen, die weit oberhalb ihrer Ideal-Kapazität operieren. Die Vollendung der Erweiterungsarbeiten bei einem Grossteil dieser Airports liegt zeitlich gefährlich nah am Beginn der WM – bei sieben von ihnen gibt es ein reales Risiko, dass sie das Jahr 2014 noch mit unfertigen Terminals beginnen! Die zweite meist zitierte Option hat ebenfalls eine direkte Verbindung mit dem Alltag der Brasilianer: Die Mängel der städtischen Transportsysteme werden als bedeutendstes Problem von 29% der Befragten genannt. Die Stadien werden als kritischer Punkt der Vorbereitungen von 18% angesehen. Der Punkt Hotelnetz macht dagegen nur 1% Sorge.

flughafen_warten1Wenn es sich um ein Land handelt, dessen Bevölkerung von allem regelrecht fasziniert ist, was mit Fussball zusammenhängt, müsste man eigentlich annehmen, das die Rückkehr der WM nach mehr als sechs Jahrzehnten unter ihnen eine enorme Euphorie auslösen würde. Neben der Chance, ihre “Seleção“ zuhause um den “Hexa“ (Sechsfachen) spielen zu sehen, werden die Brasilianer die grössten Teams unseres Planeten empfangen können, bei grossen Spiel-Klassikern zugegen sein und Fussball-Fans aus aller Welt bei sich aufnehmen. Dieses Szenario jedoch begeistert nur einen unter vier Personen. Für die anderen drei Viertel ist eine Veranstaltung der “Copa“ (WM) in Brasilien kein Grund, sie herbeizusehnen. So provoziert das grösste Fest des Fussballs im Land eine positive Reaktion auch lediglich unter 27% der Befragten. Die anderen 73% bestätigen, dass sie nicht damit einverstanden sind, dass ihr Land die WM empfängt.

Die Skepsis hinsichtlich der Kompetenz der Autoritäten bei der Organisation der Fussball-Weltmeisterschaft war vorauszusehen. Und genauso erwartet – vielleicht nicht mit so hohen Graden an Pessimismus – hatte man die Zweifel hinsichtlich des Erfolges der brasilianischen Bauunternehmer für 2014. Aber wenigstens beim “rollenden Ball“ schien es wahrscheinlich, eine etwas vertrauensvollere Antwort von den Teilnehmern der Untersuchung erwarten zu können. Die Erwartungen des Publikums sind jedoch auch hinsichtlich des sportlichen Teils wenig ermutigend. Obwohl die “Seleção“ der grosse Favorit ist, endlich ihren sechsten Weltmeistertitel zu erobern, kann sie im Moment kaum überzeugen. Das brasilianische Team wird mit Unterstützung der Tribünen spielen und kann auf eine junge, talentierte Generation zählen, die aus Athleten mit der Fähigkeit besteht, jedweden Gegner das Fürchten zu lehren – und doch haben nur 17% auf einen Triumph Brasiliens im Endspiel gesetzt – datiert auf den 13. Juli 2014, im Maracanã in Rio de Janeiro. Für die anderen 83% wurde das Stadion für Kosten von 1 Milliarde Reais rekonstruiert und wird die Bühne für irgend ein anderes Team abgeben.

Zwischen den beiden vergangenen Fussball-WMs gab es grosse Unterschiede. Die von 2006 in Deutschland fand innerhalb sehr viel günstigerer Umstände statt – in einem Land mit modernen, komfortablen Stadien, einer fantastischen Infrastruktur und mit Tradition in der Durchführung grosser Sport-Events. Die WM von 2010 in Südafrika war wesentlich komplizierter hinsichtlich ihrer Organisation. Es gab da nur zwei Stadien, die dem Anspruch der FIFA genügten – alle anderen wurden neu gebaut oder komplett rekonstruiert. Und es fehlte den Südafrikanern an Erfahrung mit Events dieser Grössenordnung und einem Transportsystem, das den Anforderungen einer WM gewachsen war. Beide WMs waren erfolgreich – jede auf ihre Weise und innerhalb ihrer Möglichkeiten. Nach Meinung der Befragten auf der Site der Veja, wird Brasilien keine so guten Noten bekommen wie die Deutschen und die Südafrikaner. Nur 7% meinen, dass die WM 2014 besser sein wird als die von 2006. Für 85% steht fest, die brasilianische Copa 2014 schlechter wird als die der Deutschen. Im Vergleich mit den Südafrikanern ist zwar die Benachteiligung etwas kleiner, aber selbst da bleibt Brasilien zurück. Nur 14% glauben, dass Brasilien eine bessere WM hinlegen wird als die in Südafrika. Für etwas mehr als die Hälfte wird sie schlechter als die von 2010.

Ein Gastbeitrag von Herbert Wolf

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