Auch der Mensch gehört zur Biodiversifikation

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Der menschliche Irrtum, sich selbst nicht zur Biodiversifikation zu zählen, hat stark zur Zerstörung von Leben auf unserem Planeten beigetragen.

Earth connectedEine Schätzung geht von 100 Millionen unterschiedlicher Lebewesen aus, die sich denselben Lebensraum teilen – unseren Planeten Erde. Nach dem brasilianischen Umweltministerium schätzt man, dass lediglich 2 Millionen dieser Spezies bisher von der Wissenschaft erforscht worden sind. Obwohl es noch viel zu entdecken gibt, ist es bereits möglich festzustellen, wie unendlich weit verbreitet das Leben tatsächlich ist, wie es alle denkbaren Grenzen überschreitet und wie es seine Präsenz in den unterschiedlichsten Ambienten beweist.

Die Biodiversifikation umfasst sämtliche Arten der Flora, Fauna und der Mikroorganismen (die von diesen Mikroorganismen ausgelösten ökologischen Funktionen in den Ökosystemen) und die von ihnen geschaffenen Kommunen, Lebensräume und Ökosysteme. Auch der Mensch ist eines der Lebewesen, die zu diesem Terminus gehören. Jedoch, wenn es um die Erhaltung des Lebens derjenigen geht, die mit ihm zusammen existieren, scheint der Mensch sich in Stein zu verwandeln.

Der Terminus “Biodiversifikation“ ist eine Kontraktion (Zusammenziehung) von “Vielfalt des Lebens“ (Bio und Vielfalt). In der Etymologie (Sprachwissenschaft) kann man die wechselseitige Abhängigkeit erkennen, durch das sich das System des Lebens auszeichnet. Das Leben auf unserem Planeten kann nur als integriertes System verstanden werden, in dem sowohl die Elemente des Lebens (die Arten), als auch die Prozesse des Lebens (die Interaktionen zwischen den Arten und ihrem Lebensraum) zusammengehören.

Die Biodiversifikation ist verantwortlich für die Stabilität der Ökosysteme, für die natürlichen Prozesse und die von ihnen geschaffenen Produkte, für die Arten (Spezies), welche die Biosphäre verändern. Auf diese Weise schaffen die Spezies, Prozesse, Systeme und Ökosysteme im Kollektiv die Grundlagen des Lebens auf der Erde: Nahrung, Wasser und Sauerstoff, ausserdem Medikamente, Treibstoffe und ein stabiles Klima, unter vielen weiteren existenziellen Voraussetzungen für das menschliche Leben.

Brasilien gehört zu den Ländern mit besonderer Biodiversifikation. Es beherbergt unterschiedliche Biome: Den Amazonas-Regenwald, das Pantanal, den Atlantischen Regenwald, den Cerrado, die Caatinga und die Südliche Pampa. Jede dieser grossen landschaftlichen Regionen beherbergt ihrerseits verschiedene Ökosysteme, welche verschiedene Lebensräume und Mikrohabitats für unterschiedliche Spezies enthalten.

Die Spezies verteilen sich auf die verschiedenen Ambienten, nutzen verschiedene von ihnen gleichzeitig, oder leben zurückgezogen in einem einzigen Ambiente, wie die Lebewesen in einer Höhle, zum Beispiel. Das ist die immense Vielfalt der Szenarien und Möglichkeiten, in der die brasilianische Biodiversifikation existiert. Wichtig darauf hinzuweisen, dass man unter dem Terminus Biodiversifikation nicht nur die sichtbaren Tiere und Pflanzen versteht, sondern auch die für das blosse Auge nicht erkennbaren Lebewesen, wie Viren und Bakterien.

Eine Biologin mit Doktortitel in Ökologie an der Universität von Campinas (Unicamp) und der Universität von Leeds (England), hebt hervor, dass die Menschen in der Regel nicht verstehen, dass sie selbst ein Teil der Biodiversifikation sind. “Die Idee, dass wir anders sind, gehört zu unserer Bildung (dem Verständnis über das Wesen des Menschen). Wir bilden uns ein, von “anderer Natur“ zu sein. Diese Einbildung führt uns zu dem Gedanken, dass wir auf der einen und die Natur auf der anderen Seite stehen. Also betrachten wir die Natur so, wie wir uns ein Fernsehprogramm ansehen. Der Mensch sieht nicht, dass er sich selbst zerstört, wenn er das Ökosystem nicht erhält“, sagt sie.

Es gibt auch einen Terminus, der heisst “Soziobiodiversifikation“, er erklärt die soziokulturelle Vielfalt der menschlichen Bevölkerungen, die mit unterschiedlichen Arten von Lebensräumen in Verbindung steht. Und obwohl dieser Terminus den Menschen als Protagonisten in seiner Etymologie erfasst, kann man doch nicht von Soziobiodiversifikation sprechen ohne die entsprechende Fauna und Flora. Es ist nicht möglich, die kulturelle Vielfalt eines Volkes zu identifizieren, ohne Verbindung mit ihrem jeweiligen Ökosystem. Einige Menschengruppen präsentieren eine sehr eigenwillige Vision bezüglich des Menschen und der positiven oder negativen Konsequenzen seiner Aktionen auf die Umwelt.

“Indios, Caboclos, Menschen, die die Erde bearbeiten, die ihre Selbsterhaltung direkt aus einem Zusammenleben mit anderen Lebensformen bestreiten, begreifen schneller, in wie weit sie ein Teil der Natur sind. Wer in der Stadt lebt und seine Existenz durch Einkäufe im Supermarkt bestreitet, verliert leicht dieses Gefühl. Und obwohl bei ihm die Zuneigung zur Natur existiert, empfindet er sie als etwas, mit dem er zusammenlebt, aber nicht als etwas, von dem er ein Teil ist“, erklärt die Biologin.

Der Mensch schliesst sich aus von einem Terminus, dessen Wert unermesslich ist – sowohl wirtschaftlich als ambiental. Ohne die vielgestaltigsten Formen des Lebens auf der Erde wären menschliche Organisation und Überleben nicht möglich. Und trotzdem wird die üppige globale biologische Vielfalt durch die menschlichen Aktivitäten drastisch zerstört. “Die weltweite Biodiversifikation wird nicht ihrer Bedeutung entsprechend kontrolliert und geschützt. Deshalb befinden wir uns angesichts der grössten Biodiversifikations-Krise, die es je in der geologischen Geschichte des Planeten gegeben hat“, erklärt die Biologin.

Sie gibt zu, dass seitens der Regierung und der Bevölkerung Anstrengungen gemacht werden, diesen Zustand zu verändern. Wie sie sagt, versucht Brasilien, eine Politik der Biodiversifikation zu betreiben. Es gibt ein Ministerium und weitere Regierungsorgane und NGOs, die sich damit beschäftigen, eine Erhaltung der unterschiedlichen Lebensformen zu fördern. Ausserdem gibt es Forschungsinstitute und Universitäten, bei denen Wissen über die nationale Biodiversifikation auf dem Programm steht. Die Biologin betont jedoch, dass die Krise der Erhaltung des Lebens sich nicht umkehren lässt und einer Zusammenarbeit bedarf.

“Warum flaut diese Krise nicht ab? Weil sie dazu einer Zusammenarbeit der ganzen Gesellschaft bedarf! Weil die Verantwortung über das, was mit der Biodiversifikation auf unserem Planeten geschieht, die der gesamten Menschheit ist, und nicht einer ausgewählten Gruppe von Spezialisten oder nur der Regierungen. Absichtlich oder unabsichtlich agieren wir innerhalb der Natur und verändern sie. Je deutlicher unsere Wahrnehmung der Veränderungen wird, umso eifriger werden unsere Anstrengungen zu reagieren“.

Für die Biologin gibt es keine bessere Art und Weise die Biodiversifikation zu erhalten, als dass der Mensch endlich einsieht, dass er selbst ein Teil davon ist. Auf die Frage, was denn fehle, damit der Mensch sich als “Bio“ begreife, antwortet die Wissenschaftlerin ohne zu zögern: “Er muss seine Brille wechseln“!

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