Sabiá laranjeira – ein Symbol Brasiliens

Zuletzt bearbeitet: 20. Juli 2013
Neben bunten Aras und Papageien ist der Sabiá laranjeira eher ein schlichter Vertreter der Vogelwelt Brasiliens

Sabiá laranjeiraDer “Sabiá laranjeira“ (Turdus rufiventris), oder die Rotbauchdrossel, wurde zum symbolischen Vogel Brasiliens gekürt, und zwar durch ein Dekret des Präsidenten. Dank einer Arbeit des Ornithologen Johann Dalgas Frisch unterzeichnete der damalige Präsident der Republik, Fernando Henrique Cardoso, das besagte Dokument am 3. Oktober 2002.

Und das hat er wahrhaftig verdient, denn kein anderer Vogel hat Dichter und Komponisten mehr inspiriert. Und die Brasilianer selbst haben ihn zum brasilianischsten aller Vögel gemacht. Der grün-gelbe “Ararajuba“ (Goldsittich – Guaruba guarouba) möge mir verzeihen – er mag der patriotischste aller unserer Vögel sein, aber um Brasilien würdig zu vertreten bedarf es ein bisschen mehr als Farben, mehr als einer prächtigen Erscheinung. Die Zeitung “Folha do Meio Ambiente“ startete eine Umfrage via Internet, nach dem würdigsten Vertreter Brasiliens aus der einheimischen Vogelwelt und stellte den “Ararajuba“ oder den “Sabiá“ zur Wahl – das Ergebnis war wie erwartet: Der kleine “Sabiá“ gewann mit Abstand.

Eigentlich muss man im Plural von den Sabiás sprechen, denn es gibt in Brasilien viele verschiedene Arten derselben Familie Turdidae – und alle singen phantastisch, in göttlicher Harmonie. Mindestens 14 Arten sind in Brasilien als “Sabiá“ bekannt und weitere gehören derselben Gattung an, haben aber andere volkstümliche Namen. Nach dem Ornithologen Helmut Sick leben mehr als 300 Arten von ihnen auf unserem Planeten.

Der Gesang des “Sabiá“ ist unsterblich, seit Gonçalves Dias schrieb: “Meine Heimat, die hat Palmen, wo der Sabiá singt – die Vögel, die hier zwitschern, zwitschern nicht so süss wie dort“. Es ist sein unvergleichliches Gesangsrepertoire, mit dem der kleine Vogel sich in die Herzen der Brasilianer manövriert hat. Ein trauriger Gesang? Nein. Aber vor allem ein einfacher, so wie die brasilianische Seele – wer weiss, vielleicht ein Gebet, denn der Name Sabiá stammt von “haã-piy-har“ (der viel betet). Von Nord bis Süd in Brasilien gibt es stets eine Sabiá-Art im näheren Umkreis.

Nun befinden wir uns im Winter, der kühleren Jahreszeit in Brasilien, und der Sabiá schweigt sich aus. Jedoch als Herold des Frühlings, wird er bald wieder anfangen zu singen. Wenige Wochen vor dem offiziellen Frühlingsanfang öffnet er seinen Schnabel und begrüsst das Leben mit seinen harmonischen Flötentönen, die aus der Liebe geboren, sich an eine Partnerin richten, die er betören und erobern will, um mit ihr seinen Beitrag zur Kontinuität des Lebens zu leisten.

Vor zwei Jahren hatte ich das Glück, dass ein Sabiá-Pärchen einen Baum vor meinem Küchenfenster für den Nestbau auswählte. Der Gesang verschönte meine Tage. Und ich konnte alle ihre einzelnen Phasen der Fortpflanzung beobachten. Männchen und Weibchen arbeiteten zusammen am Bau des Nestes aus Lehm und kleinen Zweigen in Form einer Schale. Drei Eier lagen dann eines Tages darin – 13 Tage widmete sich das Weibchen dem Brüten, bis die Stille jäh unterbrochen wurde – die Jungen waren über Nacht geschlüpft, und Vater und Mutter wechselten sich ab bei der Nahrungssuche für die nackten, ewig hungrigen Vogelkinder.

In den ersten Tagen besteht ihre Diät exklusiv aus Regenwürmern – einer Proteinquelle, die das Wachstum anregt. Die Jungen haben ein bequemes Leben, sie schlafen und bei jedweder Bewegung wachen sie auf und sperren sofort ihre gelben Schnäbel auf. In der ersten Woche entfernt sich die Mutter selten vom Nest, sie muss die Jungen warmhalten, die noch keine Federn haben. Aber die Sorge der Eltern ist nicht nur auf die Ernährung und Warmhaltung begrenzt.

Die Säuberung des Nestes ist eine weitere Aufgabe, die von ihnen mit Akribie erledigt wird. Jedes Mal, wenn sie einen Futterbrocken vertilgen, lassen die Jungen auch ein Häufchen fallen, welches sofort von einem Elternteil weggeschafft wird, die es mit dem Schnabel aufnehmen und weit weg vom Nest fallen lassen. Damit verhindern sie einen Parasitenbefall.

Nach der ersten Woche sind die Augen der Jungvögel bereits offen und ein erster Federflaum überzieht die kleinen Körper – jetzt ändern die Eltern den Speisenplan. Ausser den Regenwürmern trichtern sie ihnen auch Fruchtstückchen ein. Bald wird das Nest etwas eng, und die Jungen, deren Federn inzwischen gewachsen sind, beginnen die Flügel zu trainieren. Wunderschön zu beobachten, wie sie mit den Flügeln zu schlagen beginnen, die sie in die Freiheit tragen wollen, aber die kleinen Füsse lassen noch nicht los – noch hält sie die Angst vor dem Unbekannten im Nest. Hier ist Sicherheit, es zu verlassen ist ein Risiko.

Aber kein Vogel wird geboren, um sein Leben in einem Nest zu verbringen. Nach zwei Probetagen springen die Kleinen in ihre Freiheit – ab jetzt können sie auf ihre eigenen Flügel vertrauen. Endlich haben sie sich in ausgewachsene Vögel verwandelt, die frei sind zu fliegen, wohin sie wollen.

Die männlichen Exemplare lernen zu singen, um ihre zukünftigen Partnerinnen mit ihren unvergleichlichen Flötentönen anzulocken und zu verführen. Was die wenigsten Leute wissen, ist die Tatsache, dass jeder Sabiá in seinem Gesangsrepertoire geringe Unterschiede aufweist. So wie es keine zwei absolut gleiche Daumenabdrücke bei uns Menschen gibt, so gibt es auch keine zwei identischen Gesänge bei den Sabiás – selbst wenn beide derselben Spezies angehören – das hat die Ornithologin Maria Luísa da Silva herausgefunden und als Doktorarbeit unter dem Titel “Jedes Sabiá-Exemplar präsentiert eine einzigartige Gesangsvariation“ bei der Unicamp (Universität von Campinas) eingereicht.

Abschliessend bleibt anzumerken, dass der Sábia kein Vogel ist, den man in einen Käfig sperren sollte, um sich selbstsüchtig an seinem Gesang zu erfreuen – kein Vogel verdient eine solch grausame Behandlung, durch die ihm sein höchstes Gut, die Freiheit des Fliegens genommen wird. Leider ist die Käfighaltung von Vögeln in Brasilien immer noch traurige Gegenwart, und die Menschen in ihrer Ignoranz begreifen das Leiden der eingesperrten Kreatur nicht – weder verstehen sie seine verzweifelten Lautäusserungen zu deuten, noch sein depressives Schweigen.

Pflanzen Sie stattdessen einen Maulbeerbaum (oder mehrere) in Ihrem Garten, um sich am Gesang des Sabiá erfreuen zu können – wahrscheinlich baut er sogar sein Nest darin. Und wenn Sie dann genau hinhören, werden Sie vielleicht die Lebensfreude interpretieren können, die in seinem einzigartigen Gesang liegt…

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