Brasiliens Gesundheitssystem – SUS, Arztbesuch und Krankenkasse

Zuletzt bearbeitet: 21. April 2014

Das Gesundheitssystem lässt sich in Brasilien nur bedingt mit dem von Mitteleuropa vergleichen. Nachfolgend ein Überblick, wann man das öffentliche Gesundheitssystem nutzen sollte und wann eventuell doch eine private Krankenversicherung angebracht ist.

SUS – Sistema único de saúde

ABr240413MCSP-4Zuerst einmal gibt es für alle Brasilianer und in Brasilien lebenden Menschen SUS (das universelle und kostenlose Gesundheitssystem) für alle vom Staat. Es gibt in jedem Stadtviertel Gesundheitsposten, pro Stadt allerdings zu wenig Spezialisten und Krankenhäuser. Sprich: bei einfachen Erkrankungen oder auch Zahnbehandlungen bekommt man recht schnell geholfen und ohne Kosten. Oft bekommt man sogar die Medikation mitgegeben. Es kann allerdings schon mal Warteschlangen geben.

Wenn man allerdings dann anschließend einen Spezialisten oder eine spezielle Untersuchung benötigt, sieht es schon kritischer aus und die Wartezeiten steigen drastisch auf Monate an. Spätestens dann entschließen sich viele Bürger, für dieses Mal in die eigene Tasche zu greifen und einen Termin beim Spezialisten auszumachen. Und ein bisschen kann sich da auch der Eindruck aufdrängen, dass dies so gewollt ist. Zumindest lebt eine immer grösser werdende “Industrie” an Krankenkassen und Arztpraxen genau davon. Allerdings trägt der SUS auch den Großteil an teuren Krebsbehandlungen oder Herz-OP’s, die sich fast niemand privat leisten kann.

Krankenkassen

Es sind immer mehr Bürger, die die Dienste einer Krankenkasse in Anspruch nehmen. Das geht hier nicht automatisch mit einer Arbeitsstelle einher, wie in Deutschland, wo der Arbeitgeber den einen, der Arbeitnehmer den anderen Teil der Gebühren übernimmt. Hier muss man mit dem Eintritt ins Arbeitsleben keine eigene Krankenkasse haben. Und der Arbeitgeber beteiligt sich hier auch nur in grösseren Unternehmen an den Kosten dafür. Allerdings gibt es für viele Berufs- und Industriezweige inzwischen betriebliche Krankenversicherungen.

Wer möchte, sucht sich eine Krankenkasse aus und macht einen Vertrag für sich, die ganze Familie oder manchmal auch nur für die Kinder, wenn das Geld knapp ist. Die Krankenkassen liegen je nach Eintrittsalter so um die 120 Reais pro Person (40 Jahre) pro Monat. Mit zunehmenden Alter wird es teurer, einzusteigen. Eine Person ab 60 zahlt ca. 400 Reais monatlich, Kinder kosten hingegen nur rund 60 Reais. Dazu kommen noch anteilmäßig Gebühren für Arztbesuche und Untersuchungen. Die meisten Krankenkassen haben anfangs Karenzzeiten für bestimmte, teurere Untersuchungen und chirurgische Eingriffe, Geburten etc. Das kann schon einmal 2 Jahre dauern, bis ein Eingriff bewilligt wird wegen einem Gesundheitsproblem, das schon vor Vertragsbeginn bestand.

Privatpatienten

Aus diesen beiden Gründen (Karenzzeiten und hohe Beiträge für ältere Bürger) entscheiden sich viele Menschen dafür, keine Krankenkasse in Anspruch zu nehmen, das Geld für die monatlichen Beiträge zur Seite zu legen und ab und zu bei Bedarf mal eine private Konsultation beim Arzt zu bezahlen. Die Preise hierfür liegen mittlerweile bei bis zu 300 Reais pro Arztbesuch, wobei dazu oft noch Untersuchungen hinzukommen. Die Rechnung geht solange auf, wie es sich nur um Routineuntersuchungen oder relativ einfach behandelbare Gesundheitsprobleme handelt.

Sobald ein chirurgischer Eingriff auf den Plan kommt, können die Kosten schnell in die Tausende gehen. Eine einfache Rachenmandel-Operation kostet heute schon ca. 3.600 Reais (1.600 Reais für den Chirurgen, 80 Reais für die OP-Schwester, 1.500 Reais für den Krankenhaus-Aufenthalt und 400 Reais für den Anästhesisten). Noch viel teurer sind beispielsweise komplizierte Nebenhöhlen-Operation (ca. 10.000 Reais) oder gar Herzoperationen.

Interessant trotzdem jedesmal, wieviel Geld für Schönheits-Operationen (u.a. Nasenkorrekturen) ausgegeben wird. Dafür sind die Leute hier bereit, in die Tasche zu greifen! Das Aussehen, der Schein ist unglaublich viel wichtiger, als das wirkliche Wohlergehen. Leider, immer noch. Privatpatient heißt hier also, dass der Patient wirklich aus eigener Tasche zahlt. Da steht dann keine private Krankenkasse wie in Deutschland oder der Schweiz dahinter, die anschließend die Kosten wieder ganz oder anteilmäßig zurückerstattet. Das passiert hier dann nur eventuell bei der jährlichen Steuererklärung.

Die Mediziner lassen sich ihre Dienste sehr gut bezahlen, sie haben auch einen Riecher für reiche Patienten. Wenn eine OP ansteht, werden im Kostenvoranschlag schnell noch 1.000 bis 2.000 Reais draufgeschlagen. Wenn der Patient dann um Rabatt bittet, kann man ja ein bisschen nachlassen und hat immer noch genug Gewinn. Wenn ein Arzt an einer Operation 3.000 bis 8.000 Reais an einem Tag verdient, kann man das ja wohl Gewinn nennen, auch wenn er lange studiert hat. Allerdings haben die meisten sowieso auf Kosten des Staats an öffentlichen Universitäten studiert, was sie aber schnell vergessen.

Verbesserungansätze von Seiten der Regierung

Die Regierung hat nun seit diesem Jahr im öffentlichen Gesundheitssystem viele tausend Ärzte im Rahmen eines Regierungsprogramms aus dem Ausland (vor allem Kuba) zugelassen. Unter sehr grossem Protest der hiesigen Ärzteschaft! Bisher kamen vor allem Allgemeinmediziner, hauptsächlich für Regionen, in denen es wenig Ärzte gibt und in die die brasilianischen Ärzte nicht gehen wollen, weil sie dort zu wenig verdienen und keinen attraktiven Lebensbedingungen haben.

Der nächste Schritt wird laut einem Interview, dass Ex-Präsident Luís Inácio Lula da Silva letzte Woche vor einer Runde von ehrenamtlichen, sehr aktiven Bloggern gab, der sein, dass das private Gesundheitssystem per Gesetz dazu gebracht wird, mit seinen Spezialisten, Arztpraxen etc. auch die Patienten des SUS zu behandeln. Natürlich müssen sie dafür angemessen bezahlt werden, sagte der Ex-Präsident, der in diesem Jahr nicht zu Wiederwahl zur Verfügung steht. Wenn die Krankenkassen X für einen Arztbesuch zahlen, kann der SUS nicht nur die Hälfte anbieten.

Dafür müssen Steuern bereitgestellt werden, wie wir sie schon einmal hatten mit einer Steuer, die auf Bankschecks erhoben wurde, aber von der Opposition abgeschafft wurde, was unermessliche Löcher in den brasilianischen Haushalt für Gesundheitswesen gerissen hat. Wenn das staatliche Gesundheitssystem dann hoffentlich langsam besser zu funktionieren beginnt, kann das zur Folge haben, dass die Krankenkassen und Privatkliniken Kunden verlieren. Deshalb wird es vermutlich auch gegen diesen Schritt der Regierung wieder massive Proteste aus dieser Richtung geben. Aber je mehr die Bevölkerung die eigentlichen Gründe der auf Profit ausgerichteten privaten Medizin durchschaut, desto weniger Glaubwürdigkeit wird ihr beigemessen werden.

Warten wir die Präsidentschaftswahlen am 5. Oktober diesen Jahres ab – es wird spannend!

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AutorIn: Ursula Barros Penharvel · Bildquelle: Agencia Brasil

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