Zagallo: “Ich glaube, Felipao und Parreira denken wie ich!“

Brasiliens Trainer-Legende Mario Zagallo kritisiert den brasilianischen Verband auf Grund des jüngsten Trainerwechsels. Doch der 81-Jährige sieht trotzdem gute Chancen, dass der Traum vom sechsten WM-Titel 2014 Wirklichkeit wird.

In Europa erhält der Winter Einzug in die Stadien, in Rio de Janeiro hingegen brennt die Sonne unweigerlich vom Himmel, bei heissen 33 Grad im Schatten wird auf der bekanntesten Grossbaustelle Brasiliens, dem Maracanã in Rio de Janeiro, eifrig gehämmert, gestemmt und geschweisst. Während sich dieser geheimnisvolle und mystische Ort, Austragungsstätte des WM-Finals 2014, seiner endgültigen Fertigstellung nähert, redet im Rumpf des 320-Millionen-Euro-Stadions Brasiliens Ikone Mario Zagallo über die zahlreichen Baustellen im Land des Rekord-Weltmeisters und WM-Gastgebers. Vor allem jene, die Seleçao heisst, ist ein Thema.

Dabei lässt der rüstige 81-Jährige, der an vier der fünf brasilianischen WM-Triumphe als Spieler (1958 und 1962), Trainer (1970) und Technischer Koordinator (1994) beteiligt war, keine Kritik aus. “Velho Lobo“, der alte Wolf, nimmt gerade in Bezug auf den jüngsten Trainerwechsel der brasilianischen Auswahlmannschaft von Mano Menezes auf Luiz Felipe Scolari kein Blatt vor den Mund: “Es war für mich nicht der richtige Zeitpunkt“, sagt forsch Zagallo vor Journalisten. Vor einigen Tagen hatte sich der Verband CBF von Menezes getrennt, der in den Augen der Verbandsspitze nicht erfolgreich genug war, und dafür Scolari, Weltmeistertrainer von 2002, als Chefcoach und Carlos Alberto Parreira, WM-Coach von 1994, als Sportdirektor installiert.

Auch 1970 wurde der Trainer Brasiliens kurz vor dem Turnier entlassen, doch damals hatte Zagallo lediglich 74 Tage bis zum WM-Turnier in Mexiko Zeit, eine Mannschaft zu formen. Der frühere Weltklassespieler feierte mit Pele und Co. rund drei Monate später den dritten WM-Triumph. “Ich fürchte mich nicht. Es sind noch 18 Monate bis zur Weltmeisterschaft. Bei der WM 1970 hatte ich als Trainer viel weniger Zeit“, betonte Zagallo, dessen Wort im Land des Rekordweltmeisters immer noch ein grosses Gewicht hat.

Nicht noch ein Trauma wie 1950

wm2014-19-zagalloDamals, 1950 erlebte Zagallo als junger Soldat das historische erste WM-Finale im Maracanã. Alle erwarteten einen Sieg der Gastgeber, doch wenige Minuten vor Schluss erzielte Alcides Edgardo Ghiggia, damals einer der besten Ausserstürmer der Welt das 1:2 für die Gäste. Die Partie ging als “Maracanaço“ in die Geschichtsbücher der Welt ein. Nach dem Spiel sassen die Brasilianer noch Stunden im Stadion, es herrschte eine Totenstille. Später fanden Reinigungskräfte sogar vier Leichen. Drei Fans sind an einem Herzinfarkt gestorben und einer hat sich von der Tribüne in den Tod gestürzt. Die Partie brachte in Uruguay einen Helden hervor und in Brasilien suchten sie einen Schuldigen.

Der Siegtorschütze und Held Uruguays, Ghiggia sollte später einmal sagen: “Nur drei Menschen haben mit einer einzigen Bewegung das Maracanã zum Schweigen gebracht: Sinatra, der Papst und ich.“ So wie er bis heute als Held gefeiert wurde und in den Köpfen der Brasilianer ist, zu Beginn des Jahrtausends wurde er von einer jungen Zollbeamtin erkannt, wobei er sagte, es sei doch schon ewig her und sie antwortete: “Aber in Brasilien spüren wir diesen Moment noch heute!“, so wurde der damalige Keeper der Seleçao für den Gegentreffer verantwortlich gemacht. Kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 sagte er in einem Interview: “Die höchste Strafe in Brasilien sind 30 Jahre Haft. Aber ich büsse nun schon 50 Jahre für etwas, das ich nicht einmal begangen habe.“

Zagallo sagte: “Jetzt kommt das neue Maracanã, und ich hoffe stark, dass es 2014 mit dem sechsten Titel im Endspiel im Maracanã klappt“, sagt der Mann, der wie Pele brasilianische Fussball-Geschichte geschrieben hatte.

Ein wenig Mitleid hat Zagallo mit Brasiliens neuem Hoffnungsträger Neymar, der in der angelaufenen Saison erneut mit seiner aussergewöhnlichen Klasse beeindruckte. “Er hat in der Seleçao niemanden, zu dem er aufschauen kann. Er ist noch ein Junge. Pele hatte 1958 Spieler wie Garrincha, Vava oder Zagallo, zu denen er aufblicken konnte. Dies fehlt Neymar heute“, analysiert der einstige Trainer Zagallo und gibt dem aktuellen Coach Scolari auch gleich noch einen Ratschlag mit auf den Weg: „Vielleicht holt Felipão den einen oder anderen erfahrenen Spieler zurück. Das würde Neymar helfen. Ich glaube, Felipão und Parreira denken wie ich!“

Fabian Biastoch für BrasilienPortal
Bildquelle: CBF

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AutorIn: Fabian Biastoch

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