Brasilien: Nulltoleranz bei Gewalt im Fussball

Es ist Samstagmittag. Noch ist alles ruhig. Man sitzt zusammen, isst noch etwas bevor es losgeht. Eine ganze Woche mussten sie wieder darauf warten. Endlich sind die sieben Tage vorbei und es wird wieder angepfiffen. Samstags, 15:30 Uhr ist Fussballzeit.

In Deutschland werden die meisten Spiele der Bundesliga angepfiffen. Die Fans strömen zu hunderten in die Stadien. Sie singen und schreien ihren Klub nach vorn, zum Sieg. Sie würden alles geben, um ihren Verein siegen zu sehen.

Manche gehen auch zu weit. Sie erkämpfen sich den Respekt der Gegner. Hooligans und andere gewaltbereite Fans. In Deutschland kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, viele Spiele werden als Risikospiele deklariert, selbst in der fünften oder sechsten Liga. Ja, sogar in den Jugendspielen, kam es schon zu Auseinandersetzungen zwischen den Eltern. In solchen Szenen fliegen die Fäuste, seltener Gegenstände. Auch der Einsatz von Schusswaffen ist in Deutschland nicht sehr verbreitet. In Brasilien zeichnet sich ein anderes Bild.

“Firmen“ konkurrieren um die Vormachtstellung in einer Stadt

Die Stadien des Südamerikariesen sind gross. Manchmal zu gross, um sie ausreichend sichern zu können. Tausende Anhänger strömen in die Arenen. Sambamusik heizt die Stimmung an. Sie wollen ebenso wie jeder Fan auch Siege sehen. Doch Gewalt ist in Brasilien in vielen Teilen des Landes ein Bestandteil des täglichen Lebens. In Favelas herrschen die Anführer mit Gewalt. Polizisten werden getötet, Feinde aus dem Weg geräumt. Auch in den Fangruppierungen der Klubs steht Gewalt als äusserstes Mittel stets im Mittelpunkt. Ähnlich der Hooliganbewegung in England, die bis in die 1990’er intensiv bestand und agierte, existiert auch in Brasilien eine Bewegung, die zu hoher Gewaltbereitschaft neigt. Sogenannte “Firmen“ konkurrieren um die Vormachtstellung in einer Stadt oder zumindest bei einem Duell.

Wenn ein Duell in São Paulo auf dem Spielplan steht, ist die Polizei in Alarmbereitschaft. In allerhöchster Alarmbereitschaft. Die “Firmen“ in den beiden grossen Metropolen Brasiliens, São Paulo und Rio de Janeiro, gelten als die gefährlichsten und gewaltbereitesten Fangruppen des Landes. Ob sie nun innerhalb der Stadt aufeinander treffen oder Paulistas auf Cariocas, die Gewalt ist stets ein fester Bestandteil. Es kommt nicht selten vor, dass sich die Fans abfangen. Was dann passiert, gleicht einem Western. Ein Bus aus São Paulo ist auf dem Weg nach Rio.

Die Fahrt verläuft ruhig, auch das Spiel ist nicht von Gewalt überschattet. Die Paulistas fahren als Sieger zurück und schweifen in Erinnerung an die siegreichen Treffer ihrer Mannschaft. Aber der Weg bis an die Stadtgrenzen ist gefährlich, das sagt selbst der Busfahrer. Die Strasse schlängelt sich durch die Landschaft, Bäume und Hügel säumen den Weg. Diese Hügel sind gefährlich, die gegnerischen Fans könnten dahinter lauern und die Paulistas abfangen. Plötzlich schiesst ein Kleinwagen hinter dem Bus hervor, Schüsse sind zu hören, im Bus schmeissen sich alle auf den Boden. Der Busfahrer drückt das Gaspedal durch und rast davon. Einige Kilometer weiter haben sie wieder Ruhe. Die Cariocas sind abgedreht. Der restliche Weg zurück nach São Paulo verläuft problemlos.

Stadtderby in Porto Alegre. Die Hafenstadt im südlichsten Bundesland Rio Grande do Sul beherbergt zwei Erstligisten. Gremio und den SC Internacional. Beide kämpfen stetig um die Vormachtstellung in der Hauptstadt des Bundeslandes. Vor einigen Jahren kam es bei einem Derby zu schweren Ausschreitungen im Stadion. Die verfeindeten Fangruppierungen beschimpften sich gegenseitig, Gegenstände flogen und Feuerwerke wurden abgebrannt. Die Folge waren mehrere Verletzte und die Tatsache, dass die Polizei nicht mächtig genug oder fähig ist, für Sicherheit in den Stadien zu sorgen. Immer wieder geschehen Massenpaniken, Menschen strömen auf das Spielfeld. Die Sicherheit ist bisher weitestgehend ungenügend.

Aber nicht nur in den Stadien, auch davor beherrscht die Gewalt den Alltag der Fussballfans. Ob es nun ein Spiel gibt oder nicht, die Hardcore-Fans nehmen keine Rücksicht, wenn sie eine Person in den Farben der verfeindeten Klubs sehen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob es Fans von Corinthians, Palmeira oder von Flamengo oder Fluminese sind. Auch spielt der Ort des Geschehens keine Rolle, denn es passiert schlicht weg überall. Solche Geschichten sind in brasilianischen Medien oft zu lesen. Ob nun Überfälle auf der Strasse oder hohe Gewalt im Stadion. Es passiert sehr oft, Wochenende für Wochenende besteht die Gefahr der Eskalation. Die Sicherheitsbehörden sind überfordert, die Stadien veraltet.

“Die Gewalt im Fussball wächst“

Im Zeitraum von 1999 bis 2008 starben 42 Fans in oder im Umfeld der Arenen des Landes. “Als wir die Studie begannen, stand Brasilien im Vergleich mit anderen Ländern noch auf dem dritten Platz bei den Todesfällen. Die Reihenfolge war Italien, Argentinien und Brasilien“, sagte Maurício Murad von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro (UERJ) der Nachrichtenagentur Agência Brasil. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Todesopfer noch weiter gestiegen. Die Gesetzgebung in dem südamerikanischen Land habe zu wenig auf die aktuelle Situation reagiert: “In Brasilien, gab es unglücklicherweise keine zufriedenstellende und beständige Reaktion.“ Die Gewalt im Land nimmt zu und so auch die Gewalt im Fussball: “Die Gewalt im Fussball wächst, weil die Gewalt im Land zunimmt, und die Gewalt im Land wächst, weil Straflosigkeit und Korruption immer weiter um sich greifen“, so der Wissenschaftler weiter.

Bereits zweit Tote im Jahr 2012

In diesem Jahr gab es bereits zwei Todesopfer in Rio de Janeiro. Die Brutalität wächst weiter und die Weltmeisterschaft 2014 nähert sich mit grossen Schritten. Die Polizei in der Metropole will nun hart gegen die Hooligans vorgehen, wie deren Chefin Martha Rocha dem Sportinformationsdienst sagte: “Wir können die Gewalt nicht länger hinnehmen. Dies ist nicht das Bild, das wir im Vorfeld des Confederation Cups und der Weltmeisterschaft abgeben wollen. Nun müssen wir rigoros vorgehen.“

Die Gewalt in Brasilien, ob nun in den Armenregionen oder rund um den Fussball, ist einer der enormen Herausforderungen für die Behörden des WM-Gastgebers 2014. Die Olympischen Spiele 2016 sind ebenfalls eine Mammutaufgabe für die Verantwortlichen in Rio de Janeiro. Es liegt an den Organisatoren und den Behörden nicht nur die Gewaltbereitschaft und das Konfliktpotenzial einzudämmen, sie müssen auch an die Zukunft, die Zeit nach den grossen Sportevents denken. Zu oft gab es kurzfristige Besserungen in solchen Gastgeberländern oder –Städten. Ein Rückfall in alte Gepflogenheiten, würde Brasilien nicht gut zu Gesicht stehen, da sind sich die Brasilianer, wie auch Experten einig.

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