Die traditionellen Komponisten der “Velha Guarda” und der “Baluartes” sind stolz auf ihre Schulen

Um diesen Bericht auch für Laien in Sachen Brasilien-Karneval verständlich zu gestalten, möchte ich Ihnen zuerst einmal die beiden Schlüsselbegriffe – “Velha Guarda” und der “Baluartes” – näher erklären, um die es hier geht:

Als “Velha Guarda“ (Alte Garde) bezeichnet man die Senioren, die ergrauten Häupter der Samba-Tradition, mit einer fundamentalen Bedeutung nicht allein für ihre Schule, sondern auch für die gesamte Kultur des Sambas und des brasilianischen Karnevals. Die bedeutendste Verpflichtung eines Repräsentanten der “Alten Garde“ ist die Wahrung der Traditionen, was den brasilianischen Karneval von den meisten anderen dieser Welt unterscheidet.

Die Personen der Alten Garde einer Sambaschule sind von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung des Vereins, zumal sie als Wächter über die Traditionen der Schule angesehen und respektiert werden, immer darauf achtend, dass ihre Schule nicht an Identität verliert. Diese Respektspersonen sind Teil des Kontextes der Schule und setzen sich in erster Linie aus den Gründern und solchen Mitgliedern zusammen, die schon sehr lange dabei sind und sich durch ihre Mitarbeit besonders ausgezeichnet haben.

In der Praxis beteiligen sie sich aktiv an der Administration der Schule und werden von ihren amtierenden Direktoren stets um ihre Meinung zu den verschiedensten Problemen befragt. So bleibt die Identität des Samba und des Karnevals erhalten. Ein Mitglied der “Alten Garde“ zu sein, ist eine besondere Ehre in jeder Sambaschule.

Allerdings hat man mit dem “Wachstum der Sambaschulen” – wenn wir es mal so nennen wollen, der finanziellen Seite für ihr materielles Überleben zu viel Bedeutung beigemessen und dabei den kulturellen Teil, das fundamentale Element zur Pflege und Erhaltung der Vereinsgeschichte fast vergessen.

Heutzutage haben viele Vereine (Sambaschulen) – mit wenigen Ausnahmen – diesen traditionellen Personenkreis des brasilianischen Samba, unsere “Cabeças Brancas” (Weisse Häupter) fast vergessen. Jedoch gerade sie waren es, die sich am meisten für die kulturelle Bereicherung Brasiliens eingesetzt haben, und die Gründung der “Escolas de Samba” ist ihr Verdienst.

Als “Baluartes“ (Bastionen, Bollwerk, Festungen) bezeichnet man beim Karneval jene Pioniere mit einer langjährigen Mitgliedschaft in einer Sambaschule, immer bereit, Fragen nach den Wurzeln, der Entwicklung, der Aktualität und der Technik des Karnevals zu beantworten – eben alles, was die Neugier der Besucher wecken mag. Unter diesen “Spezialisten“ befinden sich zum Beispiel Expräsidenten von Vereinen, Karnevalisten, Komponisten, Direktoren und Juroren der Paraden. Es sind Personen, die viele Jahre im Karneval tätig waren und heute zur Verfügung stehen, um jedem, der daran interessiert ist, diesen kleinen Dienst zu erweisen.

Wenn sich ein Gespräch um die Tradition der Sambaschulen dreht, stehen auch die “Velhas Guardas“ und die “Baluartes“ stets im Mittelpunkt des Interesses. Mitglied in der “Alten Garde“ zu sein, ist ein Grund zum Stolz für die Sambistas – viele von ihnen sind verbunden mit der Komponisten-Gruppe ihrer Schule. Auch als “Baluarte“ hat man durchaus allen Grund, stolz zu sein, denn die Geschichte der Schule ist mit der eigenen verflochten.

In den beiden Schulen der Spitzengruppe (Grupo Especial) gibt es zwei, welche mit Abstand die meisten Titel im Carioca-Karneval errungen haben – Portela (21) und Mangueira (17) – und bei denen werden “Velha Guarda“ und “Baluartes“ besonders hochgehalten, um den Neuzugängen zu demonstrieren, wie alles mal angefangen hat.

Zwei der ganz Grossen Komponisten

Monarco
Monarco, Sambaschule Portela | Foto: GRES Portela
Monarco (geboren 17. August 1933) ist ein solcher “Baluarte“. Schon sehr früh ist er dem Verein der Portela beigetreten. “Die Portela ist die Schule meines Lebens“! Er war gerade mal 12 Jahre alt, als er von Rios Peripherie Nova Iguaçu umzog nach Oswaldo Cruz, in der Nordzone. Sein Haus befand sich ganz nahe am Club-Gebäude der Sambaschule, die damals noch als “Portelão“ bekannt war. “Ich musste nur ein bisschen bergab gehen, in fünf Minuten war ich dort im Haus der Portela“, sagt er.

Der Komponist verrät uns, dass er schon damals in Nova Iguaçu Sambamusik im Radio gehört hatte, die mit der Schule in Zusammenhang stand – sie war es, die seine Liebe zur Weiss-Blauen geweckt haben. “Dort hörte ich Samba, den Gesang von Araci de Almeida, ich sprach mit Paulo da Portela, einem der Gründer des Vereins. Als wir nach Oswaldo Cruz umzogen, freute ich mich, weil dort die Portela zuhause war – meine ganze Familie zog um, ich war noch im unmündigen Alter“.

Er erinnert sich an Karnevale, zu denen die Schulen sich noch auf dem Platz “Praça Onze“, im Zentrum der Altstadt, präsentierten – dann wechselte man zur Avenida Presidente Vargas, zur Avenida Antônio Carlos und schliesslich zur Rua Marquês de Sapucaí – aber das war noch vor dem Bau des Sambódromos. “Im Jahr 1947 präsentierte die Portela ein Thema über Brasiliens ersten Flieger Santos Dumont – es war meine erste Parade in der Portela, und ich war eingeteilt, das Absperrungsseil am Rand der Parade mitzuziehen, damit das Publikum uns nicht behindern konnte. Damals war die Portela noch klein, wenigstens gemessen an den Zahlen von heute – damals hatten wir zwischen 200 und 300 Mitglieder“, erzählt er.

Einen Teil der Portela-Geschichte kann man auch an den Sambas von Monarco ablesen, mit denen er seine Schule und den Stadtteil Oswaldo Cruz preist. Seine erste Samba-Komposition stammt von 1952. Monarco erinnert sich, dass der berühmte Komponist Noel Rosa, in seinem Samba “Palpite Infeliz“ (Unglücklicher Rat), von 1935, folgende Textpassage eingefügt hatte: “Salve“ (Heil Estácio, Salgueiro und Mangueira, Oswaldo Cruz und Matriz) – mit “Oswaldo Cruz“ in dieser Aufzählung der damaligen Sambaschulen, meint er die Portela!

Nach Meinung von Monarco hat sich seine Portela heute den Respekt und die Bewunderung erobert, die sie verdient – innerhalb der Elite des Karnevals von Rio de Janeiro. Er war jedes Mal sehr traurig, wenn er abfällige Kommentare hörte oder las, weil seine Portela vorübergehend mal nicht Champion geworden war. “Die Wahrheit ist, dass sie sich ein bisschen ausgeruht hat. Das ist aber vorbei. Im vergangenen Jahr marschierte sie über die Avenida unter den Schreien des Publikums “É campião“ (sie ist Champion) – da gab es Momente, in denen sich die gesamte Tribüne erhoben hatte und Beifall klatschte! Heute wird die Portela der Konkurrenz wieder lästig“, freut er sich.

Nelson Sargento
Nelson Sargento der Mangueira | Foto: Handout Video
Was die Mangueira betrifft, kann man einen Teil ihrer Geschichte mit den Sambas von Nélson Sargento (geboren 25. Juli 1924) erzählen, einem anderen “Baluarte“, der stolz ist auf seinen Titel. “Ich habe 1948 angefangen, von damals bis heute habe ich viel Gutes erlebt, und das hält immer noch an. Ich bin Ehrenpräsident der Schule, habe alle Karnevals mitgemacht, bin Baluarte der Schule und Mangueira-Anhänger bis der Tod uns scheidet“, sagt er sehr überzeugend. “Mangueirense“ zu sein, bedeutet für ihn, die Schule zu respektieren und an ihrem Alltag teilnehmen zu können. “Das ist für mich eine grosse Befriedigung. Ich erleben die Mangueira kontinuierlich im Fortschritt“!

Nélson Sargento weiss, dass sein Themen-Samba “Primavera – Quatro Estações do Ano” (Frühling – Vier Jahreszeiten), den er zusammen mit seinem Stiefvater Alfredo Português 1955 komponierte, in die Geschichte einging und heute zu den unvergesslichen gehört – er wird als einer der schönsten Sambas des Carioca-Karnevals bezeichnet. “Alle Themen-Sambas von mir waren auf ihre Weise markant, aber es gab einen, der alle anderen übertraf – ganz klar, das war, und ist immer noch, “Primavera“! Das Thema der Parade war “Cântico à Natureza“ (Gesang für die Natur) und erzählte vom Frühling – ich komponierte einen Samba, der sich mit den vier Jahreszeiten befasste, und er wurde bezeichnet als der beste Samba der Mangueira seit eh und jeh“!

Er schildert seine besonderen Emotionen, wenn er als Komponist die Parade seiner Schule erlebt, die sein Samba-Thema intoniert. “Klar, das ist ein Höhepunkt im Leben jedes Komponisten, wenn dreitausend Menschen mit dem Samba auf den Lippen marschieren, den er geschrieben hat – eine “unbeschreibliche Emotion“, begeistert er sich.

Vor soviel Bedeutung in der Geschichte der Sambaschule Mangueira gibt Nélson Sargento der neuen Mitglieder-Generation einen Rat: “Höchstes Gebot ist die Liebe zu deiner Schule. Respektieren, anfeuern und stets die Schule unterstützen, zu der du gehörst“!

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