Interview mit Radio Energy Zürich zum Karneval in Rio in voller Länge

Und Was bekommen die Gewinner? Geld, Ruhm, Ehre?
Zunächst einmal ist ihnen die mediale Aufmerksamkeit sicher. Und damit auch temporärer Ruhm. Die Trommlergruppe beispielsweise kann dann auch ausserhalb der Karnevalszeit auftreten, teilweise sogar im Ausland. Das spült Geld in die Vereinskasse, gleichfalls wird die Sponsorensuche als amtierender Champion natürlich deutlich leichter. Aber das hält natürlich nur ein Jahr an, denn dann gibt es einen neuen Champion. Nur selten gelingt einer Schule die Titelverteidigung, schliesslich sind fast alle Schulen in ihrem Können ganz dicht beieinander.

Nach ein paar Jahren ist ehemals so gefeierte Sieg nur noch eine Zahl im Karnevalsalmanach und in der Vereinsstatistik. Davon kann man sich dann nicht mehr kaufen. Die Verantwortlichen blicken daher auch stets ab Aschermittwoch wieder nach vorne.

Wie ist denn derzeit die Stimmung in Rio de Janeiro? Wie laufen die Vorbereitungen?
Die Paraden sind ja nicht der Anfang der Karnevalszeit sondern der Höhepunkt. Schon Wochen vorher beginnt der Trubel sowohl mit Straßenumzügen als auch den Proben der Schulen im Sambódromo. Im Fernsehen werden die Samba-Enredos vorgestellt, die Vorfreude wächst also mit jedem Tag. Und vor dem Karnevalssonntag und Rosenmontag defilieren die unteren Ligen sowie die Nachwuchsschulen. Da liegen bei den Top-Schulen bereits die Nerven blank. Wie oft ist schon auf der Fahrt zum Sambódromo eine Achse gebrochen, ein Motivwagen in Flammen aufgegangen. Wie oft wurde noch Minuten vor dem Einzug ins Sambódromo gehämmert und geschraubt.

Die mitlaufenden Teilnehmer interessiert das wenig. Sie sprühen vor Energie. Im letzten Jahr habe ich inmitten der Menschenmassen im Sambódromo als Fotojournalist die Stimmung eingefangen. So viel Fröhlichkeit habe ich mein Leben noch nicht gesehen. Da kann es aus allen Kübeln regnen oder so tropisch heiss sein, dass der Schweiss in Strömen läuft, der Samba-Enredo wird getanzt und gesungen – selbst unter schwersten Kostüm.

Kostüme, Wagen, usw. sind sehr teuer, wie leisten sichdie Teilnehmer und die Schulen das?
Die Karnevalsparaden in Rio de Janeiro werden aus einer Vielzahl von Töpfen finanziert. Da gibt es Werbeeinnahmen, Gelder aus den TV-Übertragungen, Zuschüsse von Stadt, Sponsorengelder oder Einnahmen aus den Verkäufen gut erhaltener benutzter Kostüme. Viele Schulen bieten auch Aussenstehenden für entsprechendes Geld an, einmal mitzulaufen. Dafür muss man dann das Kostüm kaufen und den Samba-Enredo mitsingen und mittanzen können.

Aber vor allem ist viel Eigeninitiative der Mitglieder gefragt. Die Nähen in Heimarbeit die Kostüme oder bauen am Wochenende an den Motivwagen. Jeder steuert Zeit, Fähigkeit, Geld oder Material bei, damit das ganze realisiert werden kann. Der Zusammenhalt in diesen Schulen ist schon sehr groß, da ist viel mehr Engagement zu erkennen wie beispielsweise in einem Sportverein – egal ob in Brasilien oder in Europa.

Der Karneval zieht ja auch jede Menge Touristen an? Wie ist denn der Andrang?
Rio de Janeiro ist leider an Karnaval sehr sehr teuer. Das ist ein echter Wehrmutstropfen. Die Hotelpreise ziehen kräftig an, und auch die Eintrittskarten für das Sambódromo sind leider für ausländische Touristen deutlich teurer. Es sind allerdings auch die besten Plätze mit einer perfekten Sicht auf das Geschehen.

In diesem Jahr werden wie im Vorjahr rund 900.000 Besucher aus dem In- und Ausland erwartet. Die wenigsten davon besuchen jedoch die Sambaparaden im Sambódromo. Sie kommen wegen der Feste, Bälle und Straßenumzüge. An den sogenannten Blocos – also Blöcken – nehmen teilweise bis zu 2 Millionen Menschen teil. Aber es auch ganz kleine, wo nur ein paar Dutzend Narren durch die Straßen ziehen. Es sind hunderte von Umzügen. Jeden Tag ist da woanders was los. Neben den Samba-Paraden, die ja in der Nacht stattfinden, sollte man auf den Straßen der Stadt auf jeden Fall auch mal mit dabei gewesen sein.

Wie ist es mit dem verkleiden? Kann man es mit der Schweizer Streetparade vergleichen, oder eher mit der Fasnacht?
Wenn man an so einem großen Bloco mit mehreren Zehntausend oder Hunderttausend Teilnehmern teilnimmt, muss man sich vorher einkaufen. Dann bekommt man ein T-Shirt mit dem Motiv der Gruppierung und darf innerhalb eines geschützten Bereiches mitlaufen. Vorneweg fahren riesige Lautsprecherwagen, wo oft auch Bands darauf spielen, dahinter läuft die tanzende Meute. Geschützt von Sicherheitspersonal. Ausserhalb dieses Bereiches geht das natürlich auch, aber das gibt es meist mehr Ärger und Taschendiebstähle. Man kann die größeren Events durchaus mit einer Streetparade vergleichen.

Die kleineren Umzüge in den Stadtteilen sind dann eher familiär. Da laufen dann ganze Familien mit, Kinder sind verkleidet und geschminkt, Cowboy und Pirat sind genauso vertreten wie Prinzessin oder Ballerina. Aber nirgendwo steht man am Straßenrand und lässt einen Umzug mit verschieden Musikgruppen an sich vorbeiziehen. Richtiges Mitmachen und mittanzen ist angesagt, von Anfang bis Ende. In Carnaval do Brasil ist und war schon immer der Weg das eigentliche Ziel!

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AutorIn: Dietmar Lang · Bildquelle: Luiz Ferreira / IAP Photo

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