Karneval Rio de Janeiro 2012: 1. Paradenacht der Samba-Schulen

Mocidade“ hat Probleme mit dem “Abre-Alas“ bei ihrer Parade über Portinari

Die Samba-Schule Mocidade Independente de Padre Miguel (Unabhängige Jugend des Padre Miguel) brachte Farben, Grafitti, Spiegel und eine erneuerte Equipe, unter dem Kommando des Karnevalisten Alexandre Louzada, auf die Sapucaí – um den brasilianischen Maler Cândido Portinari mit ihrer Parade zu ehren.

Ihr Thema “Port Ti, Portinari“ (Für Dich Portinari), inspiriert durch die Werke des Künstlers, wurde von ihnen dargestellt mit vielen Kristallen, Federn und Pailletten, die einige der gigantischen Wagen der Schule schmückten.

Die Evolution der Grün-Weissen dürfte allerdings in der Beurteilung der Juroren etwas gelitten haben durch die Probleme, welche die Schule ausgerechnet mit einem ihrer schönsten allegorischen Wagen zu überwinden hatte: Der “Abre-Alas“, mit dem Titel “Por ti, Portinari – o Universo“ (Für Dich Portinari – das Universum), bedeckt mit Spiegeln von zirka 22 Metern Länge, geriet ausser Kontrolle und kollidierte mit dem lateralen Schutzgitter, welches die Paradierenden vom Tribünenpublikum trennt. Zirka 40 Mitglieder der Schule mussten rennen und helfen, den Wagen wieder in seine normale Laufbahn auf der Avenida zurück zu schieben.

Momente später gab der Wagen erneut Arbeit für die Schule – er musste einige Minuten anhalten, weil er am Ausgang der Avenida nicht durchpasste und so die einzelnen “Alas“ am Durchmarschieren hinderte. Noch einmal mussten viele Mitglieder alle ihre Kräfte mobilisieren, um das Vehikel aus dem Weg zu schaffen.

Ein weiteres Problem für den Verein war eine Auseinandersetzung zwischen der Schauspielerin Dill Costa und der Harmonie-Direktorin der “Mocidade“ – das wird Punkte kosten. Unter dem Vorwand, dass man für sie keinen Platz auf dem ihr zugeteilten allegorischen Wagen reserviert habe, weigerte sich die Schauspielerin hinauf zu steigen. Und während der entbrannten verbitterten Diskussion rannten andere Verantwortliche von einer Seite zur andern, um die Parade aufzuhalten und zu versuchen, dass mit dieser Verspätung des bewussten allegorischen Wagens jedoch kein “Loch“ zwischen “Alas“ und den Wagen der Parade entstünde.

“Nichts wird meine Freude heute stören. Ich paradiere schon viele Jahre. Wenn die Schule meint, dass ich ihre Parade aufhalte, dann ist das ihr Problem. Ich bin hier und werde mich diesem wunderbaren Volk präsentieren“, sagte die Schauspielerin, die schliesslich zu Fuss weiter marschierte – vor dem fünften allegorischen Wagen mit dem Titel “Êxodo Sertanejo“ (Exodus der Hinterwäldler)!

Die “Mocidade“ – auf dem Siebenten Platz bei den beiden letzten Karnevals-Paraden – hatte sich mit vielen Neuheiten und innovativen Details in diesem Jahr auf die Avenida begeben, um sich den Titel unter der Elite des Samba von Rio de Janeiro zu holen: Sie paradierte mit einem neuen Vorsänger, einem neuen Karnevalisten, einem neuen Choreographen, einer neu konzipierten Percussion und einem neuen “Mestre-Sala und Porta-Bandeira-Paar“.

Der Karnevalist Alexandre Louzada – jetzt bei der Mocidade – gewann den Karneval von Rio und den von São Paulo im vergangenen Jahr 2011, mit der “Beija-Flor“ und der “Vai-Vai“. Louzadas gewann seinen ersten Titel mit der “Mangueira“ im Jahr 1988 – mit dem Thema “Chico Buarque da Mangueira“ (Chico Buarque von der Mangueira).

Die Perkussions-Königin Antonia Fontenelle präsentierte einen stilvollen Samba, um die 264 Rhythmiker ihrer Gruppe zu animieren, die von den beiden Maestros Beréco und Dudu betreut werden.

Die Front-Kommission brachte eine Innovation in der Person eines Graffiti-Sprühers, dessen Aufgabe es war, Portinaris Unterschrift auf eine weisse Leinwand zu bringen – als der Schatten des Künstlers. Jedes Mitglied der Kommission stellte Pinselstrich dar. Auch der Sohn Portinaris, João, wurde auf der Avenida geehrt.

Die “Ala“ (Themengruppe) “Aquarela“ (Aquarell), die mit ihren Kostümen unterschiedliche farbige Pinselstriche auf weisser Leinwand präsentierten, begeisterte mit den marschierenden Jungs Jefinho und Dedê.

Die „schöne“ Ângela Bismarchi, berühmt wegen ihrer zahlreichen chirurgischen Eingriffe, die ihre Körperformen vollständig verändert haben, war eine der meist beachteten Attraktionen der “Mocidade“ – zu Fuss. “Diesmal hab’ ich nur Botox einspritzen lassen und mir eine gesunde Ernährung und viel Fitness-Traing verordnet“, erklärte sie.

Der ungewöhnliche Karneval der Porto da Pedra – Thema Milch und Yoghurt

Die Samba-Schule Porto da Pedra erschien in dieser ersten Nacht im Sambadrom von Rio de Janeiro, als fünfte Parade, mit einem überraschenden, weil bisher im Karneval ignorierten Thema – einer Zeitreise durch die Geschichte der Milch: “Da seiva materna ao equilíbrio da vida“ (Von der Muttermilch zur Gleichgewicht des Lebens). Die Königin der Percussion, Ellen Roche, glänzte vor ihren Rhythmikern.

Um die Bedeutung der Milch zu demonstrieren, schöpfte der Verein die Geschichte dieses Nahrungsmittels voll aus. Die Front-Kommission symbolisierte den “Lactobazillus des Karnevals“. Die einzelnen Integranten stellten die Mikroorganismen dar, welche den Verdauungsapparat beschützen.

Der allegorische “Abre-Alas“, betitelt “A árvore da vida“ (der Baum des Lebens) präsentierte Tiere, die sich von der Muttermilch ernähren – also Säugetiere. Neben diesen bewegten sich humane Figuren der Antike, welche die Mutter als Göttin verehrten. Der grösste Teil des Wagens war von einer Tigerin ausgefüllt, dem Symbol der Schule. Vierzehn Personen befanden sich innerhalb des Wagens, um die Tiere mit den notwendigen Bewegungen lebendig erscheinen zu lassen.

Der zweite Wagen war “O leite dos Deuses” (die Milch der Götter) getauft worden. Der Karnevalist Jaime Cezário schuf diese Allegorie als Beweis dafür, dass die Milch in vielen Legenden präsent ist und bei zahlreichen Zivilisationen als heilig gilt.

“A festa do leite e do iogurte na antiguidade“ (Das Fest der Milch und des Yoghurt in der Antike) war das Motto des dritten Wagens. Hoch oben über der Szene präsentierte sich die Göttin Ishtar übergossen mit Milch. Im vierten Wagen “Iguarias do Imperador Chinês” (Derivat des chinesischen Kaisers), demonstrierte die Dekoration, das die Chinesen sich nach der mongolischen Dynastie zu Yoghurt-Verehrern entwickelt hatten.

Auf dem fünften Wagen, unter dem Titel “Iogurte, do Império Otomano às cortes europeias” (Yoghurt aus dem otomanischen Imperium für die europäischen Höfe), demonstrierte ein gigantisches Schachbrett die Auseinandersetzungen zwischen beiden Reichen. Die vorletzte Allegorie präsentierte die “Fábrica das Delícias“ (Delikatessenfabrik) und ehrt Isaac Carasso, den Begründer der ersten Yoghut-Fabrik Brasiliens. Der siebente und letzte Wagen hob die Bedeutung der Milch für die Gesundheit hervor.

Dies ist das zweite Jahr für Ellen Rocche als “Rainha da Bateria“ von “Porto da Pedra“. Solange Gomes wurde zur “Königin der Samba-Schule“ gewählt.

Die Beija-Flor rettet “Christus den Bettler” zu Ehren von Joãosinho Trinta

Der Karnevals-Champion vom vergangenen Jahr 2011, die Samba-Schule Beija-Flor de Nilópolis (Kolibri von Nilópolis), paradierte auf der Marquês de Sapucaí im Gedenken an Joãosinho Trinta, dem Karnevalisten, der 15 Jahre lang der Schule angehörte und im Dezember vergangenen Jahres verstarb. Zu dieser Ehrung erinnerte die Schule an eine der polemischsten Kreationen jenes Karnevalisten: der “Cristo Mendigo“ (Christus als Bettler), aus der Karnevalsparade von 1989 unter dem Thema „Ratos e urubus, larguem minha fantasia“ (Ratten und Geier, lasst mein Kostüm los) – der damals in der Avenida Einzug hielt, verdeckt von einer schwarzen Plane, (weil sich die Katholische Kirche gegen die “Profanisierung“ ihres Symbols empört hatte und eine richterliche Verfügung erwirkte). Diesmal hatte man unter jener schwarzen Plane eine gigantische Statue von Joasinho selbst versteckt, die im Verlauf der Parade zur allgemeinen Überraschung des Publikums enthüllt wurde.

Die Ehrungen befanden sich im Wagen “A histórica São Luís e a arte do gênio João” (Das historische São Luís und die Kunst des Genies João) – es war der letzte allegorische Wagen der Parade, und der ergänzte die Referenzen auf den verstorbenen Karnevalisten: mit einem leeren Thron, der den Verlust des kreativen Karnevalisten deutlich machte.

Die “Beija Flor“ versucht, ihren 13. Titel zu erobern mit dem Thema “São Luís, o poema encantado do Maranhão” (São Luís, reizendes Gedicht von Maranhão). Um die Geschichte der Hauptstadt des Bundesstaates Maranhão zu erzählen, hat der gegenwärtige Champion des Rio-Karnevals keine Mühen gescheut: Die Schule brachte, sage und schreibe, fünf Tonnen Muscheln zum Sambadrom – ausserdem reiste die Karnevals-Kommission nach São Luís do Maranhão, um dort das Thema folkloregerecht zu entwickeln.

Die “Evolution“ der Schule aus Nilópolis wurde von der traditionellsten Stimme des Carioca-Karnevals dirigiert: dem “Neguinho da Beija Flor“, der die Sambas seines Vereins seit 36 Jahren singt, und dessen Ruf „Olha a Beija-Flor aí gente“! (Schaut die Beija-Flor an, Leute) auch diesmal unüberhörbar aus der neu installierten Audio-Struktur über die Sapucaí schallte.

Üppig, die goldenen Kostüme mit den gelben Federn, die das Publikum auf den Tribünen aufstehen liessen mit tosendem Applaus. Anmutig das erste “Mestre-Sala und Porta-Bandeira-Paar“, Claudinho und Selminha Sorrizo, die seit 1992 zusammen tanzen, als sie noch der Schule “Estácio de Sá“ angehörten. Jetzt sind sie bereits 17 Jahre in der “Beija-Flor“.

Die Samba-Schule “Beija Flor de Nilópolis” beendete ihre Parade der 1. Nacht im Sambadrom von Rio de Janeiro mit einer Zeit von 1 Stunde und 14 Minuten.

Vila Isabel ehrt Martinho und singt Samba-Originale aus Angola

Als Beitrag zum Karneval von Rio wählte die Samba-Schule Vila Isabel die Geschichte des afrikanischen Staates Angola zum Thema ihrer diesjährigen Parade. Mit dem Thema “Você semba la… que eu sambo cá. O canto Livre de Angola! “ (Du semba dort . . . ich sambo hier. Der freie Gesang Angolas) beendete die Schule die Paraden der ersten Nacht in der Spitzengruppe von Rio de Janeiro und zeigte, dass unsere Verbindung mit jenem afrikanischen Land weit über die gemeinsame portugiesische Sprache hinausgeht.

Die “Vila“ hat in den von den angolanischen Sklaven mitgebrachten Traditionen die Wurzeln des Samba entdeckt und verband damit auch, am Ende der Parade, eine Ehrung des Volkssängers Martinho da Vila. Die Präsentation ihrer Parade trug die Unterschrift der Karnevalistin Rosa Magahães.

Der Parcours durch jene afrikanische Region begann mit der Front-Kommission, die eine afrikanische Savanne darstellte. Die Darsteller bewegten sich auf der Sapucaí innerhalb einer Allegorie, die ein Teilstück von diesem Biom präsentierte. Afrikaner kämpften mit wilden Tieren und entwickelten verschiedene Choreographien auf dem Wagen.

Die wilde angolanische Fauna war das Thema des “Abre-Alas“. Vor dem Wagen Gabriela Alves in einem Kostüm, das den Reichtum der angolanischen Natur symbolisierte. Der erste Sektor der Schule trat mit Kostümierten auf, die Zebras, Giraffen und afrikanische Vögel interpretierten.

Der zweite Wagen stellte den “Imbondeiro, a árvore da vida“ (Imbondeiro, der Baum des Lebens) dar. In Angola wird er als heilig verehrt – man gewinnt aus ihm Heilmittel, und pflegte sich in ihm in Kriegszeiten zu verstecken.

“Na corte da rainha Njinga“ (Am Hof der Königin Njinga) war der Titel des dritten allegorischen Wagens. Geboren 1580 war sie eine der grössten Heldinnen von Zentralafrika. Sie beeindruckte die Portugiesen als geschickte Führerin ihres Volkes und wurde später unter dem Namen Ana de Souza sogar getauft – gab aber nie den Kampf gegen die Herrschaft der Ausländer auf.

Der vierte Wagen “O navio negreiro aporta no cais do Valongo” (Das Sklavenschiff legt am Kai von Valongo an) präsentiert die Überfahrt der Afrikaner vom Hafen Luanda (Angola) bis zum Kai Valongo, in Rio de Janeiro. Die Ankunft von Dona Tereza Cristina am brasilianischen Kai war Thema des fünften allegorischen Wagens. Diese Ankunft der Kaiserin bewirkte eine gross angelegte Reform im Jahr 1840.

Die Anpassung der schwarzen Sklaven an die neuen Lebensbedingungen wurden im sechsten allegorischen Wagen “Festas de largo“ (Weitreichende Feste) demonstriert. Heimlich liessen sie ihre Riten und Zeremonien wieder aufleben, gemischt mit neuen religiösen Erfahrungen durch ihre portugiesische Herrschaft. “Congadas, Festas do Divino“ und die Herzen des “Rei de Congo“ (König) und der Rainha de Ginga“ (Königin) erscheinen in diesem Sektor.

“Der schwarze König Martinho und sein Hof“ – dieses lebende Szenario bildete den Abschluss der Parade auf dem letzten Wagen. Martinho da Vila ist der kulturelle Botschafter Brasiliens in Angola.

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AutorIn: Dietmar Lang

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