Luxus und Leidenschaft beim Karneval in Rio de Janeiro

In der Nacht zum Rosenmontag wurde mit den Sambaparaden in Rio de Janeiro der Höhepunkt des diesjährigen Karnevals in Brasilien eingeleitet. 12 Schulen der Grupo Especial (Spezialgruppe) kämpfen in zwei Nächten um den begehrten Titel, eine mehrköpfige Jury bewertet die Präsentation in verschiedenen Kategorien.

Obwohl es sich eigentlich um ähnliche Paraden wie in São Paulo handelt, sind die Megashows der verschiedenen Gruppen in Rio de Janeiro imposanter, monumentaler und vor ausdauernder. Der Karneval in der Metropole ist nicht umsonst der berühmteste der Welt, Millionen verfolgen weltweit das Spektakel live im Fernsehen – im Sambódromo Marquês de Sapucaí feuern mehr als 80.000 Zuschauer die Teilnehmer zusätzlich an. Bis zum Morgengrauen wurde so gefeiert, getanzt und gesungen – ein wahres Fest an Luxus und Leidenschaft in einer tropischen Nacht.

Die Paraden starten auch früher als beim kleine Konkurrent São Paulo, so dass um 21:17 Uhr bereits die Sambaschule União da Ilha do Governador als Erste in die von Stararchitekt Oscar Niemeyer entworfene Arena einmarschierte. Nach 8 Jahren in der 2. Liga war die 1953 gegründete Schule erstmalig wieder mit von der Partie und hatte sich mit „Dom Quixote de La Mancha, o Cavaleiro dos Sonhos Impossíveis(Don Quixote de La Mancha, der Ritter der unmöglichen Träume) ein kreatives Thema ausgesucht. Die bekannte Romanfigur des Spaniers Miguel de Cervantes, der sich für einen Ritter hält und am Ende gegen Windmühlen kämpft, wurde auch auf fantasie- und humorvolle Weise in 35 Kostümgruppen und auf sieben detailreichen Allegoriewagen dargestellt. Unter anderem waren ein riesiger, furchteinflössender Drache und Szenen aus dem Leben des Protagonisten zu erblicken. 3.800 Teilnehmer sangen lauthals den mehr als eingängigen Samba-Enredo und sorgten so zu Beginn der langen Nacht für eine ausgezeichnete Stimmung entlang der Paradestrecke.

Um 22:28 Uhr machte sich die Sambaschule Imperatriz Leopoldinense auf, die rund 700 Meter lange Wegstrecke zu bewältigen. Mit dem Motto „Brasil de todos os Deuses(Brasilien aller Götter) huldigten die achtmaligen Gewinner die unterschiedlichen Glaubensrichtungen im grössten Land Südamerikas. 46 Kostümgruppen mit insgesamt 3.800 Teilnehmern machten ihren Anspruch auf den neunten Titel geltend. Die Präsentation sollte so perfekt wie möglich sein und bereits bei der Comissão de frente (Begrüssungskommission) überzeugte die Schule durch eine nahezu perfekte Choreografie. Im Anschluss folgte ein fast 45 Meter langer Motivwagen ganz in Weiss und Silber mit riesigen Pferden, der den noch kommenden spektakulären Farbenreigen eröffnete. Die weiteren Allegoriewagen thematisierten unter anderem die Gottheiten der indigenen Ureinwohner, den christlichen, muslimischen und buddhistischen Glauben sowie die afrikanischen Gottheiten der nach Brasilien verschleppten Sklaven. Auch die zweite Schule des Abends blieb innerhalb des in diesem Jahr von 80 auf 82 Minuten erhöhten Zeitrahmens und konnte im Anschluss auf eine gelungene Präsentation zurückblicken.

Mystisch wurde es danach bei der Sambaschule Unidos da Tijuca. Alles an der Präsentation sollte eine Überraschung werden und auch die Reporter am Aufstellungsort konnten kaum etwas in Erfahrung bringen. „É Segredo!(Es ist ein Geheimnis!) lautete auch das Thema des Samba-Enredo und am Ende waren die Zuschauer einem Feuerwerk aus Täuschungen und Illusionen ausgesetzt. Die Tänzerinnen der Begrüssungskommission wechselten binnen Sekunden mehrere Mal die Kleidung, die Bibliothek von Alexandria ging täuschend echt in Flammen auf und Superhelden erklommen wie von Geisterhand geführt steile Wände. Mit der Darstellung der Mysterien der Menschheit machte ein echter Titelaspirant auf sich aufmerksam, in der Vergangenheit konnte die 1931 gegründete Schule allerdings lediglich 1987 und 1999 den Sieg in der Grupo Especial erringen. Zu erwähnen sind auch ein Allegoriewagen mit 5.000 echten Pflanzen und ein Michael Jackson Doppelgänger, der auf dem letzten Motivwagen den weltbekannten Moonwalk vollführte. Die 3.600 Teilnehmer, aufgeteilt auf 32 Kostümgruppen und 6 Motivwagen benötigten am Ende 79 Minuten für die Paradestrecke.

Auf einer Teilnehmerin der Sambaschule Viradouro lagen im Anschluss die meisten Blicke: der gerade 7-jährigen Júlia Lira, die erst nach dem Beschluss einer Familienrichterin als Königin der Trommlergruppe an der Parade teilnehmen durfte. Im Aufstellungsbereich zeigte die Mini-Samba-Queen und Tochter des amtierenden Präsidenten der Schule zunächst Nerven und rettete sich weinend vor Schaulustigen und Reportern in Mamas Arme. Auch auf der Wegstrecke im Rausch des Samba-Rhythmus schien sie von dem enormen Rummel weiterhin sichtlich nervös und irritiert. Vielleicht lag es aber auch einfach nur an der Uhrzeit, denn die Schule betrat erst um 1:36 Uhr die Arena. Das Motto der Parade lautete „México, o Paraíso das Cores, sob o Signo do Sol(Mexiko, Paradies der Farben unter dem Zeichen der Sonne) und so wurden auf den 9 Allegoriewagen nicht nur wichtige Stationen in der Geschichte sondern auch berühmte Persönlichkeiten wie Diego Rivera, Frida Kahlo, Emiliano Zapata und die Jungfrau Maria von Guadalupe gehuldigt. Zudem waren unter den 3.700 Teilnehmern in 34 Kostümgruppen neben Kakteen, Tequila und Chihuahuas jede Menge Piraten zu entdecken, die vor Jahrhunderten in der karibischen See ihr Unwesen trieben. Nach exakt 82 Minuten kam der Mexiko-Treck dann auch sicher ins Ziel, ob nach 1997 in diesem Jahr zum zweiten Mal der Titel gewonnen werden könnte, scheint allerdings zweifelhaft.

Was die Zuschauer dann allerdings einige Minuten später zu Gesicht bekamen, spielte sich in einer ganz anderen Liga ab. Die Sambaschule Salgueiro drängte mit ihrer Präsentation „Histórias Sem Fim(Geschichten ohne Ende) auf einen Doppelsieg nach 2009 und bot neben gigantischen Allegoriewagen auch einige Alas (Kostümgruppen) mit einer perfekten und ausgefeilten Choreographie. Thematisiert wurde vor allem die Historie des Buches und welche Geschichten sich heute damit erzählen lassen. Von den ersten Manuskripten über die Erfindung der Druckkunst mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg bis hin zu Harry Potter, Science-Fiction-Abenteuern mit Robotern oder der brasilianischen Erfolgsserie Sitio do Picapau Amarelo – die 4.100 Teilnehmern auf sieben Motivwagen und in 36 Einzelgruppen schienen den Erfolg des Vorjahres unbedingt wiederholen zu wollen. Besonders der immense Reichtum an Details und Ausstattung machte die Parade zu einem visuellen Erlebnis, welches die 79 Minuten viel zu schnell verstreichen liess.

Als letzte Sambaschule der ersten Nacht stellte sich Beija-Flor de Nilopolis dem Votum durch Jury und Zuschauer. Die erfolgsverwöhnten Kolibris, die sich nach den Titelgewinnen 2005, 2007 und 2008 im vergangenen Jahr mit dem zweiten Platz zufrieden geben mussten, zogen um 4:26 Uhr unter dem Motto „Brilhante ao sol do novo mundo, Brasília do sonho à realidade, a capital da esperança(Im Glanz der Sonne der Neuen Welt, Brasília vom Traum zur Realität, die Hauptstadt der Hoffnung) ins immer noch voll besetzte Sambódromo Marquês de Sapucaí ein. Die Zuschauer sahen eine Zeitreise von der Kolonisierung Brasiliens durch die Portugiesen bis zum Bau der neuen Hauptstadt vor genau 50 Jahren durch den damaligen Präsident Juscelino Kubitschek. So war die Präsentation auch eine Hommage an das Land selbst, die Flaggeninschrift Ordnung und Fortschritt wurde genauso thematisiert wie der Stolz, etwas weltweit Einzigartiges geschaffen zu haben. Trotz des nahenden Morgens feierte die gesamte Arena weiter mit und boten somit einen gelungenen Abschluss des 1. Teils der jährlichen Sambaparaden der Königsklasse.

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