Brasilien: Historischer Mordprozess unterbrochen

Berlin, 07. Mai 2010 PRESSEMITTEILUNG SURVIVAL INTERNATIONAL
Der Prozess gegen drei Männer, die des Mordes an dem Guarani-Anführer Marcos Veron aus dem brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul beschuldigt werden, wurde am Montag vertagt. Bereits am ersten Verhandlungstag wurde das Verfahren ausgesetzt, da sich der vorsitzende Richter weigerte, Zeugenaussagen in der Sprache der Guarani zuzulassen.

Die Staatsanwaltschaft brach das Verfahren mit der Begründung ab, dass alle Guarani Zeugen – unabhängig von ihren Portugiesisch Kenntnissen – das Recht haben, sich in Guarani an das Gericht zu wenden. Den Guarani zu verweigern, sich in ihrer Sprache an einem Gerichtsverfahren zu beteiligen, verletzt brasilianisches und internationales Recht. Staatsanwalt Vladimir Aras erklärte dazu: „In 17 Jahren ist dies erst das zweite Mal, dass ich eine Sitzung abbreche (…). Ein Gericht ist nicht der Ort, um in die Rechte einer Person einzugreifen.“

marcos_veronMarcos Verons Sohn, Ládio Veron Cavalheiro, sagte: “In Erwartung eines Verfahrens, sind wir bereits zum zweiten Mal hierher (nach São Paulo) gereist. Aber sie verletzen unser Recht, in unserer eigenen Sprache zu sprechen.” Der Prozess sollte ursprünglich bereits am 12. April beginnen. Er wurde jedoch bis Mai verschoben, da sich ein Anwalt der Verteidigung angeblich einer drei-wöchigen psycho-therapeutischen Behandlung unterziehen musste.

Marcos Veron, ein bekannter und international angesehener Anführer der Guarani-Kaiowá, wurde 2003 von bewaffneten Männern zu Tode geprügelt, die für einen Viehzüchter aus der Gegend arbeiteten. Das Verbrechen geschah vor den Augen von Familienangehörigen, nachdem Veron die Wiederbesetzung ihres angestammten Landes Takuara durch seine Gemeinde angeführt hatte.

Lesen Sie hier Marcos Verons Nachruf, veröffentlicht in der Zeitung The Guardian.

Im Jahr 2000 war Veron auf Einladung von Survival nach Europa gereist, um auf die verzweifelte Situation der Guarani aufmerksam zu machen. Über Takuara sagte Veron: „Dies hier ist mein Leben, meine Seele. Wenn man mich von diesem Land fortschafft, nimmt man mir mein Leben.“

Die Angeklagten Estevão Romero, Carlos Roberto dos Santos und Jorge Cristaldo Insabralde, Beschäftigte der Farm die Verons Gemeinde das Land entrissen hatte, werden unter anderem des Mordes und der Freiheitsberaubung beschuldigt. Ein vierter mutmaßlicher Täter, Nivaldo Alves de Oliveira, ist flüchtig.

In der Anklageschrift heisst es: „Mit Schusswaffen ausgerüstet, bedrohten und schlugen sie die indigenen Anführer und schossen auf sie. Der damals 72-jährige Veron wurde mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht, wo er verstarb.“

In Brasilien werden Gewaltverbrechen gegen indigene Opfer nur sehr selten verfolgt.

Das Verfahren findet in São Paulo statt, da die Anklage der Ansicht war, dass eine Jury und ein Richter aus Mato Grosso do Sul mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht unparteiisch sein würden. Unter führenden Mitgliedern der Gesellschaft von Mato Grosso do Sul sind Vorurteile gegen Indigene stark ausgeprägt.

Belege für das hohe Ausmass der Gewalt gegen die Guarani finden sich in einem Bericht, den Survival International Anfang diesen Jahres beim UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung eingereicht hat. Indigene Anführer, die an der Spitze der Wiederbesetzung angestammten Landes stehen, werden systematisch von Auftragsmördern ins Visier genommen.

Stephen Corry, Direktor von Survival International, erklärte heute: „Der Tod von Marcos Veron war ein schwerer Schlag für sein Volk und eine direkte Folge seines Kampfes für das Land seiner Gemeinde. Es ist von zentraler Bedeutung, dass seine Mörder bestraft werden – das Verfahren muss so bald wie möglich wieder aufgenommen werden und die Guarani müssen die Erlaubnis erhalten, sich in ihrer Sprache an das Gericht zu wenden. Außerdem müssen die brasilianischen Behörden das Land der Guarani schützen, damit diese nicht länger ihr Leben riskieren müssen, um ihr verfassungsmässig garantiertes Recht auszuüben, auf ihrem Land zu leben.“

Bisher ist nicht bekannt, wann das Verfahren wieder aufgenommen werden wird.

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