Festnahme Lulas wird zum Marathon

Er werde erhobenen Kopfes gehen und das Gefängnis wieder mit stolzer Brust verlassen, sagte Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor hunderten Anhängern wenige Stunden vor seiner Verhaftung. Diese hat sich über 48 Stunden hinweg hingezogen, 48 Stunden, in denen spekuliert und der Akt politisch ausgenutzt wurde.

São Bernardo do Campo – Lula in der Mitte seiner Genossen – Foto Paulo Pinto/Fotos Publicas

Den ganzen Samstag (7.) über ist die Festnahme des wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten im Mittelpunkt der Medien gestanden. Über jeden Schritt Lulas wurde genauestens berichtet. Der hatte die am Donnerstag ausgestellte Order, sich bis 17 Uhr am Freitag bei der Bundespolizei in Curitiba einzufinden, verstreichen lassen.

Es schlossen sich Verhandlungen mit der Bundespolizei und ein Machtspiel an. Das Gesetz erfüllen und sich doch nicht beugen, drückten es einige Journalisten aus.

Hunderte Menschen umlagerten das Gebäude der Metallergewerkschaft in São Bernado de Campo (São Paulo) über zwei Tage hinweg. In das hatte sich Lula am Donnerstag nach Bekanntwerden des Haftbefehls mit Parteikollegen und Freunden verschanzt.

Auch am Samstagmorgen war es wieder von Anhängern Lulas und der von ihm mitgegründeten Arbeiterpartei PT umzingelt. Um 9:30 Uhr sollte vor dem Gebäude ein ökumenischer Gedenkgottesdienst zum Geburtstag der 2017 verstorbenen Frau Lulas stattfinden. Das geschah mit erheblicher Verspätung.

Davor soll Lula noch den Text eines animierten Filmes über seinen Werdegang gesprochen und aufgenommen haben. Der Film soll von der Arbeiterpartei PT veröffentlicht werden, wenn der Ex-Präsident schon hinter Gittern sitzt.

Von einem Soundwagen aus wurde schließlich der Gottesdienst abgehalten. Ex-Präsidentin Dilma Rousseff verlas dabei ein Friedensgebet. Kurz danach gab es eine schon lange erwartete Ansprache Lulas.

Mit heiserer Stimme und sichtlich müde gab sich der 72-Jährige kämpferisch. Er stellte Präsidentschaftskandidaten von Koalitionsparteien vor, kritisierte Medien und Richter und beteuerte einmal mehr seine Unschuld. Sein Verbrechen sei es gewesen, sich für die Armen einzusetzen.

Wenn dies alles sei, werde er weiter Krimineller bleiben, so Lula, der seine Anhänger dazu aufrief zu „Lulas“ zu werden, weil die Revolution nicht aufhört, wie er unter Beifall sagte.

Wieder verschwand Lula in dem Gewerkschaftsgebäude. Ein Mittagsessen wurde gewährt. Dann hieß es, dass er sich um 16:30 Uhr der Polizei übergeben werde. Polizisten in Zivil sollen sich schon im Gebäude befunden haben.

Gegen 17 Uhr scheiterte ein erster Versuch, das Gewerkschaftsgebäude zu verlassen, am Widerstand von Demonstranten. Deren Zahl hatte sich mittlerweile verringert, nicht so ihr Wille, eine Haft zu verhindern.

Knapp zwei Stunden später überquerte Lula umringt von Sicherheitskräften und Helfern zu Fuß den Platz am Gebäude, um zum bereitstehenden Wagen der Bundespolizei zu gelangen. Es gab Gedränge, Zurufe und Konfusion.

Darauf, einen Ex-Präsidenten “würdevoll“ festzunehmen, wie es Richter Sérgio Moro ausgedrückt hatte, war die Polizei offensichtlich nicht vorbereitet. Lula ist der erste Ex-Präsident der jungen Demokratie Brasiliens, der wegen eines gewöhnlichen Verbrechens verhaftet worden ist.

Lula Ankunft in Curitiba – Foto: Marcello Casal Jr/Agência Brasil

Letztlich trat er dann doch den Weg in die von São Paulo 400 Kilometer entfernte, südbrasilianische Stadt Curitiba an, per Polizeikonvoi, Hubschrauber und Flugzeug. Um 23 Uhr traf er im Dienstgebäude der Bundespolizei ein. Auch dort hatte sich eine Gruppe von Anhängern versammelt.

Abseits von ihnen gab es eine Gruppe von Gegnern. Sie und andere Curitibaner haben die Verhaftung Lulas mit dem Abschießen von Feuerwerkskörpern in den nächtlichen Himmel gefeiert.

In dem Polizeigebäude sitzen bereits andere wegen Korruption Verurteilte ein. Für Lula wurde im obersten Stockwerk, fernab von den anderen Häftlingen, ein 15 Quadratmeter großes Zimmer mit Bad zur Zelle umgewandelt.

Auch wenn die Verhaftung des Ex-Präsidenten abzusehen war, bringt sie doch die politische Szene durcheinander. “Wahlen ohne Lula sind Betrug“ war auf einem am Gewerkschaftsgebäude angebrachten Schild zu lesen. Laut Umfragen galt er bisher als aussichtsreichster Kandidat auf das Präsidentschaftsamt.

Wer in zweiter Instanz rechtsgültig verurteilt ist und sich in Haft befindet, kann nach brasilianischem Gesetz nicht als Kandidat antreten. Endgültige Entscheidungen trifft ein eigenes Wahlgericht bis zum 10. August. Bis dahin können noch viele juristische Klimmzüge erfolgen.

Selbst wenn Lula hinter Gittern bleibt, könnte der charismatische Politiker aber seine Beliebtheit auf einen anderen Kandidaten übertragen. Schon einmal gelungen ist ihm das mit seiner Nachfolgerin, Ex-Präsidentin Dilma Rousseff.

Spezialisten sprechen angesichts der Verurteilungen und Korruptionsverwicklungen von einem harten Schlag gegen die Linke Lateinamerikas. In Brasilien zieht sich die Korruption hingegen durch beinahe sämtliche traditionellen Parteien, auch die der Mitte und der Rechten. Selbst gegen den derzeit amtierenden Präsidenten Michel Temer und etliche seiner Minister wird ermittelt.

Lula war von 2003 bis 2010 Präsident des südamerikanischen Landes. Mit seiner Politik ist es gelungen, Millionen Menschen aus der extremen Armut zu holen sowie die Wirtschaft und das Ansehen Brasiliens in der Welt zu verbessern.

Der Bruch kam mit dem vor vier Jahren ans Licht getretenen Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, der als “Operation Lava Jato“ bekannt wurde. In den sind neben Großunternehmen dutzende Spitzenpolitiker verwickelt. Etliche von ihnen sitzen bereits hinter Gittern.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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