Polizistenstreik schürt Angst und Gewalt

Situation Vliha Velha – Foto: Tânia Rêgo/Agência Brasil
Auch nach fast einer Woche ist das Chaos in einigen Städten des Bundesstaates Espírito Santo ungebrochen. Betroffen ist vor allem die Hauptstadt Vitória und deren Großraumregion. Dort sind seit vergangenen Samstag keine Militärpolizisten mehr im Einsatz, regieren Kriminalität und Unsicherheit.

Laut Gesetz ist der Militärpolizei ein Streik nicht erlaubt. Deshalb sind es die Frauen und Angehörige der Polizisten, die vor den Einsatzzentralen campen und damit Zu- und Ausgang verwehren. Offiziell streiken somt nicht die Polizisten, sondern werden an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. Erreicht werden soll damit eine Gehaltserhöhung.

Gouverneur Paulo Hartung hat dies bei einer Pressekonferenz bereits ausgeschlossen, mit der Begründung, dass Espírito Santo kein Geld hat, um die Forderungen in Milliardenhöhe zu erfüllen. Andererseits sind die Gehälter der Polizisten seit 2010 nicht mehr erhöht und seit drei Jahren nicht einmal mehr um die Inflationsrate angeglichen worden.

Inzwischen fragt sich die Bevölkerung aber, warum nicht eingegriffen wird. Längst hat es schon Gegenproteste gegeben. Bei denen wurden hingegen Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt, als einige Demonstranten Reifen angezündet haben und der Protest zu eskalieren drohte.

Die Justiz hat den Streik als illegal verurteilt und unter Bußgeldandrohung die Arbeitsaufnahme angeordnet. Sicherheitssekretär André Garcia spricht von Prozessen, die gegen die Polizisten angestrengt werden sollen. Stattdessen wird verhandelt. Jetzt fordern die Frauen eine Erhöhung von 100 Prozent und Straffreiheit für ihre Männer. Doch auch die bis spät in die Donnerstagnacht hinein dauernde zweite Verhandlungsrunde ist ohne Ergebnis geblieben.

Das Nachsehen hat die Bevölkerung. Schießereien sind beinahe an der Tagesordnung, Schulen sind seit Montag geschlossen und ebenso Gesundheitsposten. Die Busse des Nahverkehrs stehen still, viele Geschäfte, Supermärkte und auch Ämter und Banken öffnen nicht. Über hundert Menschen sind seit Samstag umgebracht worden. Die Zahl der von Kriminellen und auch Teilen der Bevölkerung wie im Rausch ausgeräumten Läden wird mit mehr als 200 angegeben. Die bisher angerichteten Schäden durch Ausfälle gehen in die Millionenhöhe.

Ein anderes Problem ist der Symbolwert des Streiks. Es wird befürchtet, dass das Beispiel in anderen Bundesstaaten Brasiliens nachgeahmt werden könnte. Dabei geht es nicht überall um mehr Lohn, dessen Kaufkraft angesichts der Wirtschaftskrise zunehmend schwindet, oder um das Erreichen von Gefahrenzulage und Nachtzuschläge.

Vielerorts herrschen prekäre Arbeitsbedingungen, fehlt Geld für Reparaturen der Streifenwagen oder gar für Benzin und sind Dienststellen nur notdürftig eingerichtet. Um so besorgter richten sich die Augen Aller derzeit auf den bisher für brasilianische Verhältnisse als sicher gegoltenen Bundesstaat Espírito Santo und die Lösung des Problems.

Präsident Michel Temer beschäftigen momentan indes andere Sorgen. Er hat seinen Justizminister, der eigentlich auch für die innere Sicherheit des Landes zuständig wäre, für den durch den Tod Teori Zavasckis frei gewordenen Stuhl beim Obersten Gerichtshof STF vorgeschlagen und ist jetzt auf der Suche nach einem Nachfolger zur Besetzung des Ministeramtes, dessen Einsatz gerade jetzt so dringend notwendig wäre.

In der Hauptstadt Espírito Santos geht gleichzeitig das Chaos weiter. Während dort die Militärpolizisten nach wie vor nicht arbeiten, sind sie in anderen Städten wieder im Einsatz. Am Donnerstag sind dabei in der Stadt Cachoeira die Polizeidienststellen plötzlich zu Lagerhäusern geworden.

Etliche der in den vergangenen Tagen an den Raubzügen beteiligten Personen haben Kühlschränke, Öfen, Liegestühle und andere aus den Läden geklaute Waren reumütig zurückgegeben, um einer möglichen Haftstrafe zu entgehen.

Um die Situation zu entschärfen ist mittlerweile, wenn auch mit etlichen Tagen Verspätung, das Bundesheer angerollt. Mit Panzern patroullieren sie durch die Straßen. Bis Samstag sollen es 3.000 Soldaten sein. Die in den Städten des Großraumes von Vitória vorherrschende Unsicherheit und Gewalt konnte damit bisher hingegen nicht wirklich eingedämmt werden.

In Vila Velha haben stattdessen die Stadtwächter unter dem Applaus der Bevölkerung Wachrunden übernommen. Aus anderen Bundesstaaten sind zudem Verkehrspolizisten eingetroffen.

Die Straßen von Vitória scheinen trotzdem wie leer gefegt. Dennoch bleiben nicht alle in ihren Häusern. Donnerstagnacht hat ein Bewohner versucht, den anderen und vielleicht auch sich selbst ein wenig Mut zu machen.

Er ist mit seinem Wagen durch die Straßen gefahren. Aus den Lautsprechern schallte „Imagine“ von John Lennon und an die Wände projezierte er im Vorbeifahren „#sem medo” (ohne Angst).

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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