Sertanejo Phänomen bewegt die Massen Brasiliens

Mit 66 Prozent der Publikumsstimmen hat der 15-jährige Wagner Barreto die erste Ausgabe von “The Voice Kids“ in Brasilien gewonnen. Er hat es damit auch zum neuen Sertanejo-Star des südamerikanischen Landes geschafft, dem Musikstil der die Meinungen teilt, Generationen verbindet und als populärste Musikrichtung Brasiliens gilt.

Auf dem Land aufgewachsen hat Wagner Barreto mit seiner Stimme und seinen Darbietungen die Herzen der Brasilianer und die von “Victor & Léo” erobert. Das Sertaneja-Duo ist sein Vorbild und war während des Wettbewerbs auch sein Trainer. Dass sich das Publikum unter den drei Finalisten für Wagner Barreto entschieden hat, mag ein wenig auch am Musikstil Música Sertaneja gelegen haben. Auch wenn der Sertanejo von vielen Musikkritikern immer noch als Stiefkind behandelt wird, bewegt er doch die Massen, vielleicht sogar mehr als dies Samba, Rock, Pop und die Musica Popular do Brasil (MBP) tun.

Der Sertanejo ist aber auch ein Phänomen, von den Einen ignoriert und belächelt, von den anderen geliebt. Auf die großen Medien ist er nicht angewiesen. Er trägt sich von alleine. Das hat sich auf tragische Weise im vergangenen Jahr gezeigt.

Als in den Nachrichten vom 24. Juni der Tod von Cristiano Araújo vermeldet wurde, war der Mehrheit der Brasilianer der junge Mann unbekannt. Gleichzeitig trauerten jedoch hunderttausende Fans um ihr Musikidol. Der erst 29-Jährige war bei einem Autounfall auf der Fahrt von einem Konzert zum nächsten ums Leben gekommen.

In seiner kurzen Karriere hatte er Festivals und Konzerthallen mit tausenden Fans gefüllt. Die zeigten sich perplex, als sie nach seinem Tod in Facebook die immer wieder gestellte Frage “Wer ist Cristiano Araújo“ lasen, während die Unwissenden erstaunt über die Größe des Erfolges Araújos reagierten.

Den Durchbruch hatte Cristiano Araújo 2011 mit seiner CD und dem gleichnamigen Lied “Efeitos“ geschafft. Nicht die Radios und auch nicht die Charts waren es, die ihn nach oben gebracht haben, sondern das Internet. Seine dort geposteten Videos zu “Efeitos“ (Effekte) wurden in kürzestester Zeit über fünf Millionen mal abgerufen und brachten ihm damit die Aufmerksamkeit der Vermittler und Konzertveranstalter ein und letztlich ebenso durchschnittlich 20 Shows pro Monat. Er selbst schrieb seinen Erfolg seiner Fähigkeit zu, mit seinen Liedern Gefühle zu vermitteln.

Herz-Schmerz und Lebensfreude sind zwei der wichtigsten Zutaten des Sertanejos, der Country-Musik Brasiliens. Sie ist die Volksmusik Brasiliens. Kaum ein Fest, ein gemütliches Grillen oder Treffen von Freunden in der Kneipe, bei dem nicht mindestens ein Sertanejo-Hit gespielt wird. Er ist wohl die populärste Musik Brasiliens, die den Süden mit dem Norden des Landes, die Städte mit der ländlichen Gegend verbindet.

Während sie als “Caipira“, Musik der einfachen Landleute verschrien ist, erlebt sie bei Universitätsfesten ihren größten Erfolg. Auf die Spurensuche, woher dieser Erfolg kommt, begibt sich Gustavo Alonso in seinem 2015 veröffentlichten Buch “Cowboys do asfalto“ (Asphalt Cowboys). In einem Interview sagt er, dass er Sertaneja durch die Studien zu seinem Buch schätzen gelernt hat. Den Forschungen zum Phänomen Sertaneja hat er sich acht Jahre lang gewidmet.

Die Sertaneja-Musik und ihre Stars hat sich abseits der Musik- und Kulturszene Rio de Janeiros und São Paulos mit ihren großen Produzenten eigene Wege gebahnt, so Alonso. Wer mit seiner Musik brasilienweit Erfolg haben wollte, musste sich einst in den Metropolen des Südostens den Kritikern stellen. Die haben den Sertanejo jedoch lange links liegen lassen. Dem kam wiederum die digitale Technik zugute. Songs und Produktionen wurden und werden ins Internet gestellt und über die digitalen Autobahnen im Eiltempo verbreitet.

Die ersten Hits kamen aber auch ohne das Internet aus. Die LP “Somos apaixonados“ verkaufte sich schon 1982 über eine Millionen mal. Sie gilt als erste Sertaneja-Platte, die die Millionenmarke geknackt hat. Den nationalen Durchbruch schafften auch “Leandro & Leonardo“ mit ihrem 1989 veröffentlichten Hit “Entre tapas e beijos“, der es unter anderem als Filmmusik einer Komödienserie zum ewigen Schlagerstatus geschafft hat.

Gleiches gilt für “É o amor“ (Es ist die Liebe) von “Zezé Di Camargo & Luciano“, das den Film “2 Filhos de Francisco“ umrahmt. Der erzählt die bewegende Geschichte der Söhne Franciscos, eines armen Landarbeiters, der den Traum hatte, zwei seiner neun Söhne zu Musikstars zu machen. Als Buben begannen Zezé Di Camargo und sein Bruder mit Auftritten. Als sein Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, versuchte es Zezé Di Camargo zunächst alleine. Zum durchschlagenden Erfolg schaffte er es schließlich mit seinem jüngeren Bruder und dem neuen Duo Zezé Di Camargo & Luciano.

Längst ist aus der einstigen Musik vom Land jedoch ein “Sertanejo universitário“ geworden und ebenso eine Volksmusik die wie bei Oktoberfest-Hits auf Ohrwürmer setzt. 2012 sangen João Lucas & Marcelo “Eu quero tchu, eu quero tcha“ (Ich will tchu, ich will tcha) und Generationen von Brasilianern sangen mit. Eingängig sind auch die Namen der meisten Duos. “Chitãozinho & Xororó”, “Tonico & Tinoco”, “Milionário & José Rico“, “Paula Fernandes“ oder “Leandro & Leonardo“ sind einige der Beispiele.

Der Sertanejo hat nicht nur Brasilien erobert. Schon 1986 sind Milionário & José Rico von der chinesischen Regierung zu einer Tournee eingeladen worden. 2011 hat Michel Teló mit “Ai se eu te pego“ internationale Rekorde gesetzt und hat bei den Charts Adele, Rihanna und auch Usher abgehängt.

Vielleicht beginnt jetzt mit dem Sieg bei “The Voice Kids“ auch für Wagner Barreto eine Karriere. Gewonnen hat er bei dem Wettbewerb bereits einen Plattenvertrag mit Universal Music.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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