50 Jahre Tropicália: Eine Bewegung prägt die Kultur Brasiliens

CD-Huelle Tropicalia – Bild: Screenshot
Vor 50 Jahren ist in Brasilien die kulturelle Bewegung Tropicália geboren worden. Es war beim 3. Festival der Música Popular Brasileira in São Paulo, bei der Gilberto Gil und Caetano Veloso für Furore gesorgt haben. Dahinter steckt aber mehr als eine Musikrichtung. Es ist eine Lebenshaltung, eine kulturelle Einstellung, die nach wie vor ihren Platz in der Kunst und Gesellschaft Brasiliens haben.

Als am 21. Oktober 1967 Gilberto Gil und Caetano Veloso nacheinander im Teatro Paramount in São Paulo beim 3. Festival der Música Popular Brasileira (MPB) die Bühne betraten, stand das Konzept der Tropicália bereits. Dennoch gilt das Festival als Geburtstunde der Bewegung.

Die Musiker sorgten für Aufsehen und sprengten mit ihren Kompositionen eingefahrene Muster. Gilberto Gil spielte “Domingo no Parque“ (Sonntag im Park), das vordergründig von der Freundschaft von José und João erzählt. Er wurde bei dem denkwürdigen Festival mit dem zweiten Platz bedacht. Caetano Veloso belegte mit “Alegria, Alegria“ den vierten Platz. Lanciert waren damit die Ideen der Tropicalistas.

Bis dahin galten klare Grenzen zwischen den Musikgenres und diese als unumgänglich. Beim Tropicalismus wurden sie aufgebrochen. Traditionelle Musikrichtungen wie der sanfte Bossa Nova vermischten sich mit Rock und Psychodelik und ebenso der bis dahin bei der populären Musik Brasiliens verpönten E-Guitarre.

Folkloristische und traditionelle Rhythmen Brasiliens, Samba, Bolera, Baião, Rumba und Bossa Nova kombinierten die Tropicalistas mit Walzer, Blues, Rock und Pop aus der internationalen Szene. Dahinter stand das Ansinnen, die Sprache des MBP universeller und offener zu gestalten.

Sie wollten “weniger Vorurteile und mehr Freiheit“, unterstreicht Carlos Calado, Autor des Buches “Tropicália: história de uma revolução musical” (Tropicalismus: Geschichte einer Musikrevolution). Das bezog sich auch auf andere Bereiche.

1964 installierte sich in Brasilien die Militärdiktatur und mit ihr ein Nationalismus. Kunst und Musik teilten sich in Nationalismustreue und Gegenbewegung. Politische Songs waren dominiert von der Linken und vom Ernst. Der Tropicalismus setzte dem ein Lebensgefühl entgegen und eine humorvolle Kritik an Diktatur und ebenso der Gesellschaft. Themen waren neben der Unterdrückung durch die Militärdiktatur auch die Konsummentalität und der große Einfluss der Massenmedien.

Caetano Veloso schrieb und vertonte 1968 “É Proibido Proíbir“ (Es ist verboten, zu verbieten), ein Song, der noch heute beliebt und aktuell ist. Die brasilianische Militärregierung fand das weniger lustig. Der Song wurde als Provokation bewertet und als Bedrohung verstanden.

Im Dezember des gleichen Jahres wurden Caetano und Gil verhaftet und Monate später des Landes verwiesen. Still gestellt wurden sie damit nicht. Sie schrieben und komponierten weiter und machten die Bewegung international bekannt. Während sie sich vorab von Jimi Hendrix, Chuck Berry und anderen Musikgrößen beeinflussen ließen, beeinflussten sie nun selbst Künstler wie David Byrne oder Paul Simon.

Nicht alle Mitglieder der tropicalistischen Bewegung hatten das gleiche Glück wie Gil und Veloso. Einige gerieten in die Klauen der Militärschergen und wurden gefoltert. Der Lyriker und Dichter Torquato Neto setzte seinem Leben während der Diktatur mit einem Selbstmord ein Ende.

Radikal erneuert wurden neben dem Rhythmenmix auch die Songtexte. Poeten und Lyriker wie Torquato Neto und Carlos Capinan arbeitetn mit Gilberto Gil und Caetano Veloso zusammen. Mit literarischen Werken, wie von Oswald de Andrade, wurden Dialoge geformt.

Zum Kollektiv der Tropicalisten gehörten ebenso die Sängerinnen Gal Costa und Nara Leão sowie Tom Zé von der Band Mutantes und Rogério Duprat. Der Grafikkünstler, Komponist und Poet Rogério Duprat galt dabei als wichtiger, intelektueller Mentor der Bewegung. Für innovative Arragements sorgten ebenso die Dirigenten Júlio Medaglia und Damiano Cozzela.

Bei aller Innovation und Kritik wurde aber auch das Gefühl “Wir können“ versprüht. Wir, steht für die Menschen des tropischen Landes mit all ihrer Fröhlichkeit, Melancholie und kulturellen Vielfalt. Ausgedrückt wurde damit ebenso eine Stärkung des Selbstbewusstseins der Brasilianer.

Sein Hoch erlebte der Tropicalismus 1968, dem Jahr, in dem auch sein offizielles Aus proklamiert wurde. Das Aus gilt aber nur eingeschränkt. Der Tropicalismus hat für eine Erneuerung gesorgt und er ist auch heute, nach 50 Jahren, noch aktuell, weil er Zeichen gesetzt und gezeigt hat, dass mit der Verbindung von Tradition und Moderne neue Sichtweisen und neue Stile geschaffen werden.

Aktuell ist ebenso noch die von Gilberto Gil und Caetano Veloso gemeinsam mit den Rockmusikern der Band “Os Mutantes“ und Tom Zé im Jahr 1968 herausgebrachte Platte “Tropicália ou Panis et circensis“ (Tropicália oder Brot und Spiele).

Die Sammlung gilt als prinzipelles Legat und als Klassiker. Der ist keineswegs verstaubt. “Tropicália ou Panis et circensis“ kann immer noch auf die ein oder andere Weise überraschen, wie es Carlos Calado ausdrückt.

Der Poet und Komponist Antônio Cícero hebt hervor, dass Tropicália für die populäre Musik Brasiliens eine Bewegung der Avantgard war. Für Brasilien war sie von großer Bedeutung. “Sie repräsentierte die Befreiung aller Möglichkeiten für die brasilianische Musik“, so Cícero.

Gilberto Gil selbst schreibt in den sozialen Netzwerken: “Die Musik hat sich in einen größeren Rahmen eingefügt, im Tropicalismus. Er hat versucht, die Karten der populären Musik neu zu verteilen und seine starren Elemente aufzubrechen und zu rekonstruieren, indem andere Elemente eingebracht wurden.“

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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