Geschichte Juni 2009

Zuletzt bearbeitet: 20. September 2012
Es war einmal ein kleiner Junge, dessen Eltern waren bettelarm. Weihnachten, Geburtstage, Mutter- und Vatertage gingen vorüber, ohne das ihm je auch nur ein paar Münzen beschieden waren, mit denen er ein Geschenk hätte kaufen können oder sich selbst mit einer Süssigkeit bescheren.

Niemals bekam er mehr als nur eine dürftige Mahlzeit und jene prekären Objekte miserablen Überlebens – der stetige Lebenskampf seiner Eltern und Geschwister erlaubte ihnen über das Notwendigste hinaus keinerlei Ausgaben.

Der arme Junge beobachtete andere Kinder und ihre Familien – und er verstand nicht, warum ein paar so viel besassen und andere wiederum gar nichts. Und er kam auf die Idee, dass Letztere vielleicht deshalb nichts besassen, weil sie sich nicht bemühten, darum zu bitten. Also wandte er sich an seine Mutter und bat sie um 100 Reais – eine Summe, die genügen würde, sich jene Dinge zu kaufen, von denen er immer geträumt hatte. Und die Mutter, traurig darüber, dass sie diesen Wunsch ihres Sohnes nicht erfüllen konnte, sagte:

“Bitte den lieben Gott darum, mein Sohn! Gott gibt allen, die es nötig haben – besonders den Kindern schlägt er nichts ab!”

Der kleine Junge überlegte und versuchte sich zu entscheiden, wie er es am besten anstellen könnte, Gott seine Bitte vorzutragen. Er kannte Gott ja nicht und hatte auch keine Adresse von ihm. Er schrieb also einen einfachen, kurzen Brief, in dem er Gott erklärte, dass er 100 Reais brauche – und er erklärte ihm sein Dilemma – anschliessend wollte er eine Poststelle aufsuchen und den Brief abschicken. Er stellte sich vor, wenn Gott so bedeutend war, wie seine Mutter sagte, und so bekannt, dann mussten logischerweise die Postbeamten seine Adresse kennen und seinen Brief abgeben können.

Die Postbeamten – entgegen sämtlicher Vorbehalte, die man sonst gegen diesen Berufsstand haben mag – wechselten betretene Blicke, als sie den Brief von diesem kleinen bedürftigen Jungen in den abgerissenen Kleidern erhielten. Sie versammelten sich und entschieden, seinen Brief an den Regierungspalast weiterzuleiten, in der Hoffnung, dass der Präsident von seinem Inhalt gerührt, vielleicht etwas in dieser Sache unternehmen würde.

Und so geschah es . . . Der Präsident war gerührt und beschloss zu helfen. Er beorderte einen weisen Mann zu sich und fragte diesen um Rat. Der Weise stimmte seinem Präsidenten zu, dass er dem armen Jungen beistehen solle, aber nicht gleich mit 100 Reais – wobei er zu bedenken gab, dass soviel Geld in der Hand eines Kindes verderbliche Folgen haben könne. Zusammen kamen sie zu dem Entschluss, anstelle von 100 erst einmal nur 10 Reais zu schicken.

Nach einiger Zeit erhielt der kleine Junge einen Brief mit 10 Reais darin. Er war überglücklich, wunderte sich allerdings, dass als Absender das Präsidentengebäude angegeben war, der Sitz der Regierung. Er rannte zur Mutter, um ihr den Brief zu zeigen, und ihr zu bestätigen, was sie ihm über die Güte Gottes erzählt hatte. Allerdings hatte er ein paar Vorbehalte, die er seiner Mutter folgendermassen präsentierte:

“Gott ist gut, er hat mich erhört. Immer wenn ich jetzt etwas brauche, werde ich zu ihm beten und ihn darum bitten. Jedoch werde ich ihn bitten, mir seine Antwort direkt an unsere Adresse zu schicken, denn ich weiss längst, dass von allem, was durch das Regierungsgebäude läuft, die sich dort einen grossen Teil davon in die Tasche stecken – und na uns geben sie nur einen kleinen Teil weiter!”

Die Mutter stimmte ihm zu, ohne etwas zu sagen, aber sie dachte bei sich, dass ihr kleiner Junge bereits auf dem besten Wege war, die politischen Zusammenhänge zu verstehen: “In den meisten Fällen verliert sich jene Hilfe, welche die Not Hunderter von Menschen hätte lindern können, auf halbem Wege – zugunsten der Bürokratie, des Parasitismus, der Gewinnsucht und der Macht”

Ihre Janice Drummond Reynolds

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