Wetten dass…?

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Ein zerlumpter Bettler, schmutzig und übel riechend, humpelt von Tür zu Tür, klopft an und jammert: „Ach bitte helfen sie mir doch! Ich bin krank und hungrig, habe keinen Job… Einige Leute rufen von weit her: „Heute nicht – heute hab‘ ich nichts“! Andere stecken ihm durch den Gartenzaun eine Münze zu oder ein altes Brötchen. Und Raimundo, versunken in seine Trauer, schleppt seine Misere über die Strasse, ohne Hoffnung und ohne Willenskraft.

So klopft er eines Morgens auch an die Tür von Senhor Alceu: „Ach bitte, ein Almosen. Ich bin krank, ohne Arbeit, habe Hunger…“ Senhor Alceu öffnet die Tür, guckt sich den Bettler an und fragt: „Was ist los mit dir? Du bist jung und stark – warum arbeitest du nicht“? „Ich finde keine Arbeit. Ich komme vom Land… dachte ich könnte in der Stadt mein Leben etwas verbessern, aber das war ein Irrtum. „Nun, wenn du vom Land kommst, dann verstehst du sicher etwas von der Erde – weisst, wie man mit ihr umgeht? Willst du nicht meinen Gemüsegarten in Ordnung bringen – ich weiss nicht, was ihm fehlt, aber er will nicht vorankommen“!

Das Gesicht des Bettlers hellt sich auf. Jetzt fühlt er sich schon besser – er wusste etwas, was jener noble Senhor nicht wusste, er konnte ihm vielleicht sogar einen wertvollen Rat geben? Die zwei ungleichen Männer begeben sich zum Gemüsegarten hinter dem Haus. Raimundo, der Bettler, schaut sich die Beete des Senhor Alceu an und lächelt: „So werden sie niemals etwas ernten! Sehen sie mal, diese Erde ist viel zu hart, und dieser Teil hat viel zu viel Schatten, und dann dieses Unkraut…“

Die Zeit verging wie im Flug. Und die zwei sprachen miteinander wie zwei alte Bekannte. Senhor Alceu kommentierte seinen Frust mit dem Gartengemüse und Raimundo erzählte von der Schönheit der Fazendas, auf denen er gearbeitet hatte. Sie assen zusammen zu Mittag und sehr viel später, am Nachmittag als Raimundo sich schliesslich verabschiedete, hatte er einen Job: den Gemüsegarten des Senhor Alceu wieder auf Vordermann zu bringen – und dieser versprach, ihn seinen Nachbarn und Bekannten zu empfehlen.

Einfacher gesagt als getan. Alle, mit denen Senhor Alceu sprach, waren sich einig, ihn warnen zu müssen: „Sie sind verrückt, einfach so einen wildfremden Mann zu empfangen, den sie gar nicht kennen! Und wenn er ein Dieb ist? Ein Bandit vielleicht? Ein Abartiger“?   

Senhor Alceu argumentierte: „Und wenn er lediglich ein guter Arbeiter ist, der eine Chance braucht“? „Darauf würde ich aber nicht wetten! Es gibt doch wirklich genug bekannte Leute, mit Empfehlungen für jede Art von Arbeit. Nicht nötig, auch noch Bettler anzustellen“!

„Und ich wette, dass er ein ganz besonderer Mensch ist, und ein Fachmann der Landwirtschaft dazu, jawohl“! So entgegnete ihnen Senhor Alceu – „wenn wir ihm keine Chance geben, wie kann er dann bekannt werden und sich die Empfehlungen verdienen“?

„Es wird ihnen noch leid tun“! „Und wenn schon? Ihm tut es auch leid, dass das Leben ihm so mitgespielt hat…

„Ach, hat ja alles keinen Zweck, ihnen gut zuzureden – sie sind ein Verrückter, Starrköpfiger…“

Raimundo arbeitet immer noch bei Senhor Alceu. Ganz langsam, ob aus Bequemlichkeit oder aus purer Neugier, fingen seine Bekannten an, Raimundo zu rufen, wenn bei ihnen etwas kaputt war – dieselben, die Senhor Alceu so zugesetzt hatten – Raimundo wurde ihr „Mädchen für alles“, und er konnte wirklich alles – man fing an, sich zu fragen, was man ohne ihn angefangen hätte?

Der Zaun ist zusammengebrochen? Raimundo!
Das Rohr ist verstopft? Raimundo!
Die Lampe ist durchgebrannt? Raimundo!
Das Vorderrad vom Auto hat einen Plattfuss? Raimundo!
Und so weiter… und so weiter…!

Eines Tages – nun waren sie wirklich dicke Freunde geworden – sprach Senhor Alceu seinen Freund auf dessen Frau und seine beiden Töchter an, die er dort oben im trockenen Sertão zurücklassen musste, als er ging, um sein Glück in der Grossstadt zu suchen – niemals war es ihm gelungen, zurückzukehren, um sie zu holen. „Du musst sie da rausholen – jetzt, wo dein Leben anfängt, sich zu richten – wir können irgendeine Anstellung für deine Frau finden, eine Schule für die Kinder…“ Raimundo lächelt traurig: „Ich weiss nicht mal, ob noch auf mich wartet. Und wenn sie einen anderen gefunden hat, kann ich ihr das nicht einmal übel nehmen – ich bin eben ein Versager“. „Sag das nie mehr! Denn bei allem, was die Menschen so daher reden, hört Gott zu – und dann denkt er, dass wir es so wollen und dann passiert das wirklich…“ „Wirklich“? „Ganz sicher“. „Werde dir mal erzählen, was ich gemacht habe, als ich verzweifelt war – ein Plakat mit folgender Aufschrift:
Ich bin krank, habe Hunger und sonst niemand. Hilf mir!

„Und dann habe ich mich auf den Bordstein gesetzt, mit dem Plakat an meiner Seite, da wo viele Leute waren, in der Hoffnung, dass sich vielleicht einer von ihnen meiner erbarmen würde. Aber die Leute gingen mit grossem Abstand vorbei – sah beinahe so aus, als ob sie Angst vor mir hatten oder ich sie abstiess. Ganz wenige haben mir etwas gegeben“.

„Klar! Mit diesen Aussagen hast du eine negative Stimmung verbreitet – hast das Negative geradezu angezogen. Versuche mal, das zu ändern. Machen wir mal ein Plakat mit den Worten:
Ich bin ein Arbeiter auf der Suche nach einer Aufgabe.
Bin gesund, habe viel Energie und Lust, dem gut zu diene, der mich anstellt.

„In deiner Freizeit, wenn du sonst nichts zu tun hast, stell‘ dich mit dem Plakat an einen strategisch gut gewählten Ort, und du wirst erleben, was geschieht“. Raimundo brauchte sein neues Plakat relativ selten, denn bald hatte er überhaupt keine freie Zeit mehr, um irgendwo herumzustehen. Mit der Zeit kaufte er sich Werkzeuge, erweiterte seine Kenntnisse und konnte kaum alle die Kunden bedienen, die sich bei seinen „KLEINEN REPARATUREN“ einfanden.

Ein Jahr später:
Ein Geschäft mit Eisen– und Stahlwaren, Werkzeugen und Bauteilen, wird im Stadtteil eröffnet – gut sortiert und mit freundlicher Bedienung. Vor dem Geschäft ein Plakat:
Wir stellen Fachkräfte für Elektro–, Elektronik und Hydraulik ein – spezialisiert oder nicht.

Die Firma:
MIRANDA & SOUZA

Die Partner:
Alceu Miranda und Raimundo de Souza

Der Slogan:
Alles für die kleinen Reparaturen in ihrem Haus – Material und Service

Raimundo lebt heute glücklich in der grossen Stadt, mit seiner Frau und seinen Kindern – die natürlich die ganze Zeit über auf ihn gewartet haben. Er wird respektiert und geschätzt. Seine Tage als Bettler sind lange her, fast schon vergessen. Klar, dass all dies keine Zauberei gewesen ist. Er hat schwer dafür gearbeitet und tut es noch, denn Erfolg will jeden Tag erneut erobert werden.

Und Senhor Alceu, ebenfalls zufrieden mit seinem neuen Unternehmen, teilt das Glück seines Partners und persönlichen Freundes. Und manchmal kann er es nicht lassen, bei seinen ehemals so misstrauischen Bekannten zu sticheln: „Na und? Wollt Ihr immer noch nicht mit mir wetten, dass…?“

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AutorIn: Klaus D. Günther

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