Weihnachtsgeschichte 2012 – Ein Platz im Paradies

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

IslBGEs war einmal, und das ist schon einige Jahre her, ein älteres, schrecklich armes Ehepaar, die im trockenen brasilianischen Nordosten lebten. Ihr einziger Besitz war ein Huhn, von dem sie nun schon einige Jahre regelmässig mit Eiern versorgt wurden, sodass sie sich hin und wieder ein Omelett leisten konnten.

Aber dann ganz plötzlich, am Heiligabend, verstarb das nützliche Tierchen. Der Mann hatte nur wenige Centavos in der Tasche, und die reichten kaum, um etwas zu essen für den Weihnachtstag einzukaufen, also wandte sich in seiner Not an den Pfarrer des Dörfchens, in dem sie wohnten. Der jedoch, anstatt ihm zu helfen, gab ihm lediglich folgenden Rat:

“Wenn Gott eine Tür schliesst, mein Sohn, dann öffnet er ein Fenster. Und weil du mit deinem bisschen Geld fast gar nichts kaufen kannst, geh’ auf den Markt und nimm das Erste, was man dir dafür anbietet. Ich werde dann deinen Kauf segnen, und weil am Weihnachtstag oft Wunder geschehen, wird vielleicht ein solches dein Leben für immer verändern“.

Der Mann war sich nicht sicher, ob dies eine vernünftige Lösung für sein Problem sein sollte, trotzdem tat er, wie ihm der Pfarrer geraten und begab sich auf den Markt, der sich ihm an diesem Vortag des Weihnachtsfestes ungewöhnlich belebt darbot. Und als er so zwischen den Verkaufsständen herumirrte, fragte ihn einer der Händler, nach was er denn suche.

“Ich weiss nicht so recht“, entgegnete der arme Mann, “hab’ nur wenig Geld, und unser Pfarrer hat mir geraten, das Erstbeste dafür zu kaufen, was mir jemand dafür anbieten würde“.

Der Händler war ein reicher Mann, und zwar deshalb, weil er nie eine Gelegenheit verpasste, die ihm einen Gewinn versprach. Er nahm die paar Münzen, die der arme Mann ihm reichte, kritzelte etwas auf ein Stück Papier und reichte es ihm dann mit den Worten:

“Der Pfarrer hat recht! Weil ich ein guter und mitfühlender Mensch bin, verkaufe ich dir meinen Platz im Paradies – hier ist die Besitzurkunde“!

Der arme Mann nahm das Papier und begab sich nach Hause, während sich der reiche Händler voller Stolz über dieses vorteilhafte Geschäft die Hände rieb. Als er sich später in seiner Villa für den Heiligabend zurecht machte, während seine zahlreichen Angestellten das festliche Abendessen vorbereiteten, erzählte er seiner Frau die Geschichte vom Verkauf seines Platzes im Paradies, und nahm die Gelegenheit wahr stolz hinzuzufügen, dass er, dank seines ausgeprägten Geschäftssinnes, so reich geworden war.

Verwundert bemerkte er dann, wie sich das Gesicht seiner Frau verfinsterte: “Du solltest dich schämen“, meinte sie aufgebracht – “am Tag der Geburt Jesu so etwas zu tun! Geh’ sofort zu dem armen Mann und hol’ dieses Papier zurück“ – und sie geriet immer mehr in Rage, “sonst kannst du unser Weihnachtsessen vergessen und kommst mir nicht mehr ins Haus“!

Überrascht von diesem unerwarteten Zornesausbruch seiner Frau beeilte sich der Händler, ihrem Wunsch zu entsprechen, um den Hausfrieden wieder herzustellen – schliesslich stand Weihnachten vor der Tür, das Fest des Friedens und der Versöhnung, wie hätte er dieses grösste Fest des Jahres im Streit mit seiner Frau verbringen können, die er liebte und verehrte. Er musste eine Weile suchen und herumfragen, bis er die Hütte jenes armen Mannes endlich gefunden hatte – als er eintrat, sass der mit seiner Frau vor einem leeren Tisch, und das folgenschwere Papier lag zwischen ihnen auf der Tischplatte.

“Ich bin gekommen, weil ich einen Fehler gemacht habe“, sagte der Händler, “hier ist dein Geld – gib mir zurück, was ich dir verkauft habe“!

“Das war kein Fehler“, entgegnete der arme Mann, “ich habe den Rat des Pfarrers befolgt und habe jetzt eine gesegnete Urkunde für einen Platz im Paradies“!

“Das ist doch nur ein Stück Papier – niemand kann seinen Platz im Paradies verkaufen. Wenn du willst, zahle ich dir das Doppelte, damit du es mir zurückgibst“.

Aber der arme Mann wollte davon nichts wissen, denn er glaubte an Wunder. Also fuhr der Händler fort, sein Angebot zu erhöhen – schliesslich konnte er seiner Frau ohne das Papier unmöglich wieder vor die Augen treten – aber weil der Andere immer wieder ablehnte, erreichte sein Angebot schliesslich die stolze Summe von zehn Goldmünzen.

“Auch das hilft mir nicht“, traurig schüttelte der Arme den Kopf, “ich muss meiner Frau endlich ein besseres Leben bieten, und dafür brauche ich wenigstens einhundert Goldmünzen – also warte ich in dieser Weihnachtsnacht auf ein Wunder“.

Der Händler begann zu ahnen, dass er sein Festessen verpassen würde, wenn er jetzt nicht bald zu einer Einigung mit diesem hartnäckigen Menschen käme, er mochte gar nicht daran denken, was seine Frau sagen würde, wenn er an der sich anschliessenden “Missa do Galo“ (Mitternachtsmesse) nicht an ihrer Seite wäre, weil er hier festsass wegen einem lächerlichen Stück Papier, das inzwischen einen Rückkaufspreis von zehn Goldmünzen wert war und trotzdem noch immer unerreichbar für ihn. Aus einem plötzlichen Impuls der Verzweiflung zählte er dem armen Paar die hundert Goldmünzen auf den Tisch – erhielt prompt das Papier und verliess die Hütte mit dem demütigenden Gefühl eines grossen finanziellen Verlustes, den er diesmal seiner voreiligen Selbstüberschätzung zu verdanken hatte.

Für den armen Mann und seine Frau jedoch hatte sich das erwartete Wunder erfüllt. Und der reiche Händler hatte seinerseits dem Wunsch seiner Frau entsprochen. Aber die hatte nun plötzlich Gewissensbisse, ob sie vielleicht doch zu hart mit ihrem Mann umgegangen sein mochte. Deshalb zog sie den Pfarrer nach der Mitternachtsmesse zur Seite und erzählte ihm die ganze Geschichte.

“Herr Pfarrer, mein Gatte hat einen Mann getroffen, dem Sie geraten hatten, das Erste, was man ihm anbieten würde, zu kaufen. Mein Gatte, der eine Gelegenheit sah, leichtes Geld zu verdienen, hat diesem Mann auf einem Papier seinen “Platz im Paradies“ überschrieben. Ich habe ihm daraufhin gedroht, kein Weihnachtsessen herzurichten, wenn er dieses Papier nicht zurückholen würde – und er musste schliesslich einhundert Goldmünzen für diese Rückgabe bezahlen. Meinen Sie nicht, dass ich übertrieben habe? Und glauben Sie, dass ein Platz im Paradies so viel wert ist“?

“Nun“, antwortete der Pfarrer, “zum Ersten hat sich Ihr Gatte am bedeutendsten Tag der Christenheit sehr grosszügig gezeigt. Zum Zweiten hat er dem lieben Gott als Instrument für die Schaffung eines Wunders gedient. Aber um Ihre eigentliche Frage zu beantworten: Als er seinen Platz im Paradies für nur wenige Centavos verkaufte, war der nicht einmal jenen Preis wert. Als er sich jedoch entschloss, ihn für einhundert Goldmünzen zurückzukaufen, um seiner Gattin, die er liebt, eine Freude zu bereiten – ich kann Ihnen versichern, dass er nun viel mehr wert ist als diese Summe“!

Und die Moral von der Geschichte:
Die Armen täten gut daran, mehr an Wunder glauben, und die Reichen dafür zu sorgen, dass sie wahr werden.

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: Klaus D. Günther

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