Der Macho–Mann

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Ein Macho-Mann trägt keine Unterhemden ohne Ärmel – es sei denn zum Basketball spielen. Ein Macho–Mann mag keine Pasteten, Silberzwiebelchen aus der Dose oder irgendetwas anderes, wozu man weniger als dreissig Sekunden braucht, um es zu kauen und zu schlucken. Ein Macho–Mann isst partout kein Sufflé. Ein Macho–Mann – den wir von jetzt ab einfach kurz MM nennen wollen – erlaubt seiner Frau nicht, irgendjemandem ihre Hinterfront zu zeigen – nicht mal auf dem Karnevalsball.

Auch MM zeigt niemandem seinen Hintern. Höchstens im Umkleideraum, mit anderen Männern, aber selbst dort – wenn Sie länger als dreissig Sekunden hingucken, kriegen Sie Ärger!

MM schaut sich einen Film von Franco Zeffirelli höchstens dann im Kino an, wenn seine Frau entsprechend insistiert – und während sie den Film geniesst, versucht er im Halbdunkel andauernd die Zeit auf seiner Armbanduhr abzulesen. MM hasst Musicals, Filme mit Jill Clayburg oder von Ingmar Bergmann. Er zieht Streifen mit Lee Marvin oder Charles Bronson vor. Für ihn war Spencer Tracy einer der besten, und die neueren Filmstars – einmal abgesehen von Clint Eastwood – sind für ihn alles Schwule. MM geht nicht mehr ins Theater, denn es gefällt ihm auch nicht, wenn jemand seiner Frau den Hintern zeigt. Und wenn Sie mal einen MM auf dem Tiefstpunkt seines Daseins erleben wollen, dann ist das beim Ballet: Wenn er schliesslich konsterniert den Ballettsaal am Arm seiner Frau verlässt, empört er sich, dass sogar der Türsteher dort schwul sei, und wenn er nur noch einem dieser Schwulen mit anliegendem Trikot begegne, würde er ihn garantiert umbringen.

Und der MM hat ja Recht. Geben Sie doch ruhig zu, dass er Ihnen aus dem Herzen spricht! Klar, Sie wollen nicht, dass man Sie für einen Primitiven, für einen Zurückgebliebenen, einen Schovi hält, aber ganz da drinnen halten Sie dem MM die Stange, oder etwa nicht? Es existiert ein MM in jedem von uns Brasilianern. Wenn er auch manchmal unter vielen Schichten von Zivilisation, falscher Scham, femininer Propaganda und Bequemlichkeit begraben ist. Jawohl, Bequemlichkeit! Denn wie viele Male haben Sie sich schon vor den Fernseher gefläzt, sich mit Ihrer Familie jene feminin–emanzipierten, jedwede Männlichkeit verhöhnenden und alle MMs erniedrigenden Seifenopern angesehen, ohne sich zu jenem entscheidenden Satz aufzuraffen, den Widerstand Ihrer Familie zu brechen und auf einen anderen Kanal, mit einer Reprise von Manix oder John Wayne, umzuschalten?

Ein MM schaut sich ausschliesslich Fussball im Fernsehen an – dazu trinkt er Bier. Und nichts von Zwiebelchen während der Unterhaltung! Der MM rülpst und bittet niemanden um Entschuldigung.

Wenn Sie meinen, einen MM in sich zu tragen, dann machen Sie doch mal den folgenden Test. Lesen Sie diese Reihe von unterschiedlichen Situationen. Studieren Sie sie, denken Sie darüber nach, und entscheiden Sie, wie Sie sich wohl aus jeder der geschilderten Situationen heraus lavieren würden. Wenn Sie allerdings zu lange nachdenken, brauchen Sie gar nicht mehr zu antworten: dann sind Sie kein MM. Ein MM denkt nämlich nicht lange nach!

Situation 1
Sie sitzen in einem Restaurant mit französischem Namen. Das gesamte Menu ist in französischer Sprache gehalten. Nur die Preise sind in einheimischer Währung – und was für Preise! Sie fragen nun den Maitre, was der Name eines bestimmten Gerichts bedeute. Und Sie sind sicher, dass der Maitre sich das Lachen kaum verkneifen kann, wegen Ihrer Aussprache. Er braucht länger zu seiner Erklärung des Gerichts, als Sie, um es zu essen – denn was dann kommt, ist eine Art Paste mit leicht marinem Touch auf einem Stückchen Toast vom Durchmesser einer Münze – obwohl es mehr als 100 Münzen kostet. Sie verschlingen das ganze mit einem einzigen Haps, indem Sie daran denken, was ein Arbeiter zu essen gezwungen ist – allerdings voller Neid. Ihre Begleiterin fragt nach dem Geschmack der “belegten Münze“, und Sie erwidern, dass Ihnen die Zeit fehlte, um das festzustellen. Der Hauptgang kommt dann auch noch irrtümlicherweise falsch – Sie sind sicher, dass Sie “Boeuf à quelque chose“ bestellt hatten – was kommt, ist eine Scheibe Ente ohne irgendwelche Beilagen. Nur das. Aber Sie erinnern sich noch an den Namen aus der Speisekarte: “Canard melancolique“. Erst einmal fühlen Sie ein gewisses Mitleid mit der Ente, wegen ihrer Einsamkeit, dann aber verliert sich Ihr Mitgefühl, als Sie versuchen, sich den ersten Bissen abzuschneiden. Der Vogel ist hart und zäh – ein richtiger Gummiadler. Als schliesslich die Rechnung kommt, bemerken Sie, dass man Ihnen sowohl den Adler als auch das nicht erschienene “Boeuf“ auf die Rechnung gesetzt hat. Und Sie:

Zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken, damit ihre Begleiterin nicht den Eindruck bekommt, als ob Sie sich um so vulgäre Dinge wie Geld Sorgen machten. Zitieren diskret den Maitre herbei, um den Irrtum aufzuklären – lächeln dabei, um anzudeuten, dass diese Dinge ja passieren können, oder stürzen den Tisch um, zerbrechen eine Flasche Wein an der Wand und brüllen, während Sie den Maitre an der Gurgel packen: “Ich will den Chef sprechen, und es ist besser, wenn er allein kommt“!

Situation 2
Sie sind eingeladen worden – von Ihrer Frau, Geliebten oder Freundin (aber Freundinnen hat ein MM eigentlich nicht – wer Freundinnen hat ist ein Schwuler) – an einem Kurs für orientalische Sensibilisierung teilzunehmen. Sie wehren sich, einen schwarzen Pullover dazu anzuziehen, geben aber schliesslich nach. Der Kurs wird von einem Japaner abgehalten, wahrscheinlich ein Schwuler. Alle Teilnehmer setzen sich in einem Kreis rund um den Japaner, in der Lotus–Position. Nur Sie nicht, Sie sind ein bisschen ausser Form und es gelingt Ihnen nur die Position eines vom Wind zerzausten Gebüschs einzunehmen. Während der nächsten zehn Minuten sollen alle die Augen schliessen, die Fingerspitzen zusammenlegen und die Silbe “ohm“ im vorgegebenen Rhythmus wiederholen – bis zu ihrer Integration in die Grosse Universale Kette, welche von Tibet kommt, die heiligen Stätten Indiens und des Mittleren Orients verbindet und, sehr befremdlich, genau über dem Haus des Japaners eine Kurve beschreibt, bevor sie wieder zurück in den Orient entschwindet. Und dann, nachdem dieses Stadium der Entrückung erreicht ist, sollen sich alle zur Person an ihrer Seite umdrehen, um deren Gesicht mit den Fingerspitzen zu studieren. Und seien Sie nicht überrascht, wenn der Japaner Sie plötzlich von hinten kräftig an Ihren Ohren zieht, um Sie an die Dualität aller Dinge zu erinnern.

Während des “ohm“ strengen Sie sich gewaltig an, aber es gelingt Ihnen nicht, sich in die Grosse Universale Kette zu integrieren, ausserdem fangen Sie an, ein ganz anderes Gefühl zu verspüren, dass sich schliesslich als Wadenkrampf entpuppt. Sie:

Tun so, als ob Ihnen die Integration gelungen sei, um niemanden in Verlegenheit zu bringen.
Tun so, als ob Sie die Instruktionen nicht genau verstanden hätten und rutschen unter rhythmischen “ohms“ bis in die unmittelbare Nähe jener Blonden um, im Moment des Gesicht–Betastens das Ziel zu verfehlen und mit den Fingern auf ihren Brüsten zu landen, die Sie sich weigern loszulassen, obwohl Ihnen der Japaner beinahe die Ohren abreisst. Oder – Sie sagen, dass Sie überhaupt nichts spüren und diesen Blödsinn nicht mehr weiter mitmachen werden – auch noch in einem schwarzen Pullover – alles Schwulenkram.

Situation 3
Sie nehmen an einem dieser Meetings teil, bei denen es zwar Stühle im Überfluss gibt, aber alle Teilnehmer sitzen auf dem Boden. Sie wollten denen da beweisen, dass Sie ebenfalls nicht anders sind und schmeissen sich auf ein buntes Kissen – zu spät entdecken Sie, dass es die Gastgeberin ist. Ihre Frau oder Geliebte ist in ein vertrauliches Gespräch mit einer Dame verwickelt – sie halten sich an den Händen – welche Charlton Heston zum Verwechseln ähnlich sieht – nur mit Bart. Das Abendessen ist vom Typ “amerikanisches Buffet“, und Sie haben kein Knie mehr frei, um ihr Weinglas drauf zu stellen, während Sie das andere benutzen, um den Teller zu balancieren und das Stück Ente zu tranchieren – wahrscheinlich dasselbe aus dem französischen Restaurant, nur noch ein paar Wochen älter! In diesem Moment Ihrer Ratlosigkeit wendet sich der Mensch an Ihrer Seite, ein Friseur mit gestylter Lockenpracht, an Sie:

Wenn Sie gütigst meins benutzen wollen . . .
Ihrs?
Mein Knie . . .
Ah . . .
Es ist frei.
Aber wir sind doch gar nicht miteinander bekannt gemacht worden.
Dann übernehme ich eben jetzt die Vorstellung: Das ist mein Knie!
Nein, ich meine  Sie . . .
Mich? Gott, was für Formalitäten. Ich wette, wenn ich Ihnen das ganze Bein angeboten hätte, hätten Sie nach Referenzen gefragt. Hab ich nicht recht, Süsser?

Und was machen Sie?
Sie entschliessen sich, in den Geist des Festes einzutauchen und fangen an, ihre Hosen auszuziehen.
Sie verziehen sich mit Ihrem Glas Wein in eine ruhige Ecke, um zwischen Amüsiertheit und Ironie jene kuriose menschliche Palette zu betrachten und sich in Gedanken über diese tropikale Gesellschaft zu verlieren, die von der Barbarei direkt zur Dekadenz pendelt, ohne die Zwischen–Etappe einer Zivilisation.

Oder
Sie schnappen sich Ihre Frau oder Geliebte und hauen ab – nicht ohne zuvor jenen Pseudo–Charlton–Heston mit einem Uppercut auf dem Teppich niedergestreckt zu haben.

Wenn Sie für alle Situationen den Buchstaben a. gewählt haben, dann sind Sie kein MM. Haben Sie die Antwort unter b. gewählt, sind Sie auch kein MM. Und selbst wenn Sie c. gewählt haben sollten, sind Sie kein MM. Ein MM macht nämlich keine Tests. Ein MM hält Tests für Schwulenkram!

Dieses unser Land Brasilien ist von Männern für Männer gemacht worden! Die Eroberer unseres wilden Hinterlandes trugen keine Jeans – und erst recht nicht von Pierre Cardin! Was wäre aus unserem Land geworden, wenn Dom Pedro I. sich am 7. September (Tag der Unabhängigkeit) bei irgend so einem Friseur wegen einer Gesichtsmassage oder einem Messer–Haarschnitt verspätet hätte? Und wenn er, statt “Unabhängigkeit oder Tod“, gerufen hätte “Unabhängigkeit oder mögliche Alternativen“? Können Sie sich den Rui Barbosa in gehäkelter Badehose vorstellen? Den José do Patrocínio mit Schürze – den Tiradentes im Kaftan und mit einem Ringlein im linken Ohr?

Der ideale Beruf für einen MM ist Lastwagenfahrer. Jene harten Kerle, welche nach einer Schweinshaxe mit zwei Malzbier am Strassenrand schlafen. Beim Fussball spielt der MM als Links– oder Rechtsaussen – niemals als Mittelstürmer, immer als Flügelmann. Die Frau des Freundes von MM wird als Mann respektiert.

Ein MM geht grundsätzlich zu keiner Vernissage. Und er liest keine “Marguerite Yourcenar“ – hat “Marguerite Yourcenar“ nie gelesen und wird “Marguerite Yourcenar“ auch nie lesen. MM behauptet, keine Vorurteile zu haben, aber wenn er sich eines Tages mit allen Sängerinnen der MPB (Música Popular Brasileira) in einem Raum befände, stünde er bestimmt mit dem Rücken zur Wand.

Was Sie niemals bei einem MM finden werden, ist: ein Fettstift zum Auftragen auf trockene Lippen, Pastillen gegen Mundgeruch, die Telefonnummer von Elton John oder Eintrittskarten für ein Mimikspektakel von Marcel Marceau. Und niemals sollten Sie in Anwesenheit eines MM die folgenden Worte gebrauchen: “Ton in Ton“ oder “Wollen wir zum Ballett gehen“ oder “Versuchen Sie mal diese Zwiebelchen“. Worte, die Sie von einem MM niemals hören werden sind: “Ich gebe es zu“ oder “das habe ich geliebt“ oder “die Frau in mir“ oder “ich glaube, dass wird den Bordeaux besser auf dem Sofa trinken sollten und den Portwein auf dem Puff im Vestibühl“.

MM glaubt, dass es noch nicht zu spät ist, Brasilien zu retten und hat bereits alle Männer die noch Männer sind, für eine “Kampagne zur Regeneration des Brasilianischen Macho“ in seinem Verein eingeschrieben. Diese Vier haben allerdings bisher noch keine regelmässigen Meetings veranstaltet, weil das so aussehen könnte, als sei es Schwulenkram.

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AutorIn: Klaus D. Günther

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