Der Churrasco – ein Wettstreit der Experten

Zuletzt bearbeitet: 16. Dezember 2020

Unter “Churrasco“ versteht man in Brasilien jene über dem offenen Holzkohlefeuer gegrillten Fleischstücke – vorzugsweise vom Rind, aber auch Hammel– oder Schweinefleischstücke werden inzwischen akzeptiert und gegrillte Hähnchenflügel und –herzen sind als Vorspeise besonders beliebt. Von Rio Grande do Sul, der Heimat der Gaúchos, hat sich dieser Brauch längst über das ganze Land verbreitet, und inzwischen meint man das ganze gesellschaftliche Ereignis an und für sich, wenn man von einem “Churrasco“ spricht, zu dem man irgendwo in Brasilien, bei irgendwem, eingeladen worden ist.

In Brasilien gibt es mehr „Grillmeister“ als Einwohner (Foto: Dietmar Lang / IAP Photo)

“Längst bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es einfach nichts Besseres gibt, um die Gemüter zu zerstreuen und den Alltagsstress abzubauen, als ein Churrasco zu Hause. Und in Brasilien versteht jedermann zumindest etwas von zwei Dingen: entweder fühlt er sich als technischer Berater beim Fussball oder beim Churrasco – und unter denen sind die, welche wirklich Bescheid wissen – aber auch jene andern. Du lieber Gott – diese schrecklichen Andern! Man wird nie jemanden beim Zubereiten eines Churrascos erleben, der nicht von diesen “Besserwissern“ mit Ratschlägen und Tipps genervt wird. Und wenn er dann nicht den Mumm hat, mit einem ordentlichen Schlag Sarkasmus zu kontern, wird er den Besserwisser bis zum Ende des Nachmittags nicht mehr los. Jene “gut gemeinten Ratschläge“ beginnen bereits im Moment des Feuer Anzündens: …Hast du nicht so ein bisschen Kleinholz, um es unten drunter zu schieben, damit es Feuer fängt? …Mit einer Zeitung! Nimm doch den Anzeigenteil! …Nein, um Gottes Willen nicht mein Modeheft – dass nun wirklich nicht! …Wenn du nicht wedelst geht das Feuer nicht an. Kannst du mir glauben. …Er hat viel zu viel Kohlen draufgelegt. Die werden das Feuer ersticken. Hab ich’s nicht gesagt?

…Ist viel zu hoch. Schütt Wasser drauf!
…Hab ich’s dir nicht gesagt, kein Wasser! Na siehst du, jetzt ist es aus. …Und du hast nicht gewedelt. Lass mich mal…

Endlich brennt das Feuer, alle haben bereits die zweite Caipirinha intus –die Ehefrauen sitzen etwas abseits. Denn wenn es etwas gibt, von dem Frauen überhaupt nichts verstehen, dann ist es der Churrasco. Sie partizipieren höchstens mit einer Schüssel Salat und den vereinzelten Schreien: “Liebling, soll ich noch ein Geschirrtuch bringen“? Und dann regnet es wieder Ratschläge:

…O wenn ich du wäre, würde ich die Würstchen unten auf den Grill legen! …Was? Du schneidest die “Picanha“ (Fleischsorte)? Um Gottes willen! Das ist eine Sünde! …Guck mal, ich möchte dir wirklich nicht auf den Wecker gehen, aber ich finde es besser, wenn du das Stück mit der Fettseite nach unten auflegst. Und danach umdrehen. Und dann nicht mehr umdrehen. …Das Problem bei der Schweinelende ist, dass sie länger braucht. Sie muss nach unten. Hat zu viel Fett, Mensch! …Siehst du? Das Fett tropft und die Flamme steigt hoch. So geht das nicht. Lösch es mit Wasser. …Limone? Auf die „Picanha“? …Die Würstchen da unten, sind die nicht schon gar? Wo ist eigentlich das Brot? …Aber ich habe doch das Brot selbst gekauft. Clotilde! Brot fehlt! …Lass mich mal ran! Kann ich das Rippenstück umdrehen? Was ist das, was du da drauf streust? …Oregano? Bist du verrückt, Mensch? Nur grobes Salz – nach traditioneller Gaúcho–Manier.

Schliesslich sind alle fürchterlich hungrig und kurz davor, ihren Spiessgesellen die Gabel in den Rücken zu bohren, als plötzlich die Kinderschar auf der Bildfläche erscheint.

…Gibt’s schon Würstchen, Papa?
…Hab dir doch gesagt, dass ich euch rufe, wenn’s soweit ist!

In diesem Moment erscheint ein Kollege, der sich verspätet hat, doch noch bevor er sich vorgestellt hat, wendet er sich dem Churrasco auf dem Grill zu:

Die Flamme ist viel zu hoch. Erlauben Sie. Wenn es etwas gibt, von dem ich was verstehe, ist es der Churrasco! Lass mich mal machen. Wer macht hier denn die Caipirinhas? Zuviel Zucker! Das ist ja eine Paste! Leg doch mal noch etwas mehr Kohle drauf, Souzinha. Jetzt hab ich mir den Finger verbrannt. Nun, ich weiss ja nicht – wenn ich du wäre, würde ich diese “Picanha“ jetzt umdrehen. Die verkohlt doch schon, Mensch! Du musst ein besseres Messer kaufen. Guck mal da. Das hier zerfetzt das Fleisch.

Joaninha, wo ist unser gutes Messer? Das von deinem Vater? Vorsicht, mein Junge, das ist heiss. Hab ich’s nicht gesagt? Aber Du hörst einfach nicht. Heh, gibt es denn keine Butter auf die Kartoffeln? Nestor? Clotilde!!! Ich habe dir doch schon gesagt, dass Margarine nicht in Frage kommt! Sieh mal, die zerfliesst viel zu schnell – lieber Gott im Himmel!

Und so geht es weiter, bis es dunkel wird und das Feuer langsam verlöscht. Es gibt eine psychoanalytische Theorie, die besagt, dass, wer regelmässig Churrascos veranstaltet, keine andere Therapie mehr braucht. Nun, das ist anscheinend wahr, denn die grossen Churrasco–Organisatoren sind alle sehr angesehene und respektable Persönlichkeiten. Sie binden sich, zum Beispiel, eine Schürze mit geradezu Beifall heischender Femininität um den Leib. Oder sie stehen – zu zweit oder zu dritt – Stunde um Stunde vor der flackernden Glut, starren Arm in Arm hinein oder diskutieren und streiten sich wie ein altes Ehepaar. Haben Sie das schon mal beobachtet? Und haben Sie schon mal gesehen, wenn einer von ihnen sich den Finger verbrennt, mit welcher Aufmerksamkeit und Zuneigung er dann von den andern behandelt wird? Ich habe schon gestandene bärtige Männer gesehen, die in einem solchen Fall den Finger des andern abgelutscht haben – neben der Glut der Freundschaft. Wenn es den hausgemachten Churrasco nicht gäbe, wären die Männer viel weniger unterhaltsam – ja direkt traurige Zeitgenossen – und natürlich auch viel streitsüchtiger.

Einen Churrasco am Samstag zu veranstalten, löst sämtliche Probleme einer Firma, einer Hochzeit sowie der Kindererziehung. Und der Mann verwandelt sich in einen Helden seiner selbst.

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AutorIn: Klaus D. Günther

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