Auf Leben und Tod

Zuletzt bearbeitet: 29. Dezember 2012

Durchs hiesige Internet schwirrt ein Witz, der sich um eine vielbeachtete TV-Serie dreht, in der eine Gruppe von Kandidaten ihre Eignung zur Besetzung eines Postens im modernen, dynamischen Management eines multinationalen Konzerns beweisen muss. Unter anderem auch mit der Beantwortung folgender Frage: Welchen Satz würden sie gerne anlässlich Ihrer eigenen Beerdigung hören?

“Er war ein grosser Exekutiver, der es verstand, die Unternehmen zu modernisieren, wo immer er auch wirkte“, antwortete der eine. Ein anderer meinte, er wäre zufrieden, wenn er folgenden Satz hören könnte: “Er war ein exzellenter Familienvater und brillanter Administrator“. Und ein Dritter, ein bisschen einfallsreicher, meinte, dass er vorziehen würde, jemanden ausrufen zu hören: “Schaut nur, er hat sch bewegt“!

Es gibt Leute, die sehen ihrem eigenen Tod ganz natürlich entgegen und sind sogar fähig, über diesen fatalen Tag ihre Witzchen zu machen – über den letzten Atemzug, wenn sie die Stiefel zusammenschlagen, den Löffel abgeben und sich vom Diesseits in ein besseres Jenseits retten. Andere wieder, schlagen sofort ein Kreuz, wenn man auf das Sterben zu sprechen kommt, möchten nicht darüber sprechen und behandeln den Tod mit einer Zurückhaltung, so als würde ein einfacher Kommentar ihn bereits herbeizitieren oder ihn gar vorverlegen. Unzählige Glaubensvorstellungen ranken sich um den Tod, der auch von den verschiedenen Religionen ganz unterschiedlich betrachtet wird.

Viele Leute geniessen den freien “Tag der Toten“ bei einem Churrasco, zuhause oder im Club, aber Tausende besuchen die Friedhöfe, um ihre toten Angehörigen zu ehren. Wieder andere gehen auf dem Friedhof lediglich spazieren, um die vielen Verkaufsstände zu begutachten und sich eine Melone zu kaufen, wie es die Tradition erfordert. Sie könnte man mit jenen vergleichen, die um nichts in dieser oder jener Welt eine Beerdigung auslassen, egal wer in dem jeweiligen Sarg liegt.

Beerdigungen sind stets etwas Widersprüchliches, an einem Ort, an dem die Scheinheiligkeit ihre äusserste Grenze erreicht. Schon Minuten später, nachdem man der Witwe sein Beileid ausgesprochen hat, erzählt man sich bereits wieder haarige Witze innerhalb einer Gruppe von Freunden. Mit Ausnahme derer, die es vorziehen, ein lebendes Bild der verstorbenen Person in ihrer Erinnerung zu behalten, waren die meisten schon mal bei einer Beerdigung dabei und wissen, wie das ist, wenn einem keine passenden Worte einfallen wollen, mit denen man der trauernden Familie Trost spenden könnte. Also verfällt man unwillkürlich wieder in so abgedroschene Phrasen wie: “Er ruht sich jetzt aus“ – “um zu sterben genügt es lebendig zu sein“ – es ist besser so, er hat so gelitten“ – “Sterben ist das einzig Sichere im Leben“ – “niemand bleibt für immer“ und was einem eben an solchen geschmackvollen Standardsätzen im Moment einfallen will.

Unverzeihlich ist es allerdings, wenn man den Trauernden anstatt des Mitgefühls, seine Glückwünsche ausspricht – die Angehörigen tun so, als hätten sie’s überhört, aber man selbst möchte vor Scham in den Boden versinken. Und dann plötzlich kann einer sich nicht mehr beherrschen und prustet los – und die ganze Gesellschaft wird davon angesteckt.

So ist es immer: eine Beerdigung artet unwiderruflich in Witz und Gelächter aus bei jenen, die sich noch weit entfernt von der Begegnung mit dem Sensenmann fühlen – sie unterhalten sich mit allerlei Reimen auf den Verstorbenen, wie: “Als Glatzkopf und ohne Zähne kam ich auf diese Welt – als Glatzkopf und zahnlos verlasse ich sie wieder“ – “meine Gläubiger beten für meine Reinkarnation“ – “das ewige Leben ist gut, aber es währt zu lang“.   Während andere, die ihm schon mal von der Schippe gesprungen sind, sich einen ansaufen, um ihre Ängste im Alkohol zu ertränken.

Und dann gibt es bei manchen Beerdigungen diese langen Reden – übrigens ein Sitte in Dekadenz – bei denen die moralischen Qualitäten des Verstorbenen, wahr oder nicht, vor der Familie und den geladenen Gästen hervorgehoben werden. Früher gab es sogar mal einen Berufsstand der “Grabredner“, die jene Kunst des Trostspendens in solch schwerer Stunde geradezu meisterhaft beherrschten.

Da gab es mal einen, der sich wohl einbildete, die Macht des Wiederaufweckens zu besitzen, der klopfte an den Sarg eines aufgebahrten Bürgermeisters und befahl: “Steh auf – Taquaratinga braucht Dich“! Und das wiederholt er solange, bis man ihn mit Gewalt aus dem Saal entfernte.

Einige Personen verbringen ihr ganzes Leben mit der Vorbereitung auf ihren Tod – sie stellen sich vor, wie und wann sie das Zeitliche segnen werden. Und trotzdem werden auch sie überrascht sein, wenn er dann schliesslich an ihre Tür klopft. Ich finde, es ist besser, nicht an ihn zu denken. Vor allem auch deshalb, weil Sterben das Letzte ist, das ich mir wünsche!

Gedanken von Klaus D. Günther, ausgelöst durch eine Beerdigung
(März 2008)

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