Gavião Parkatêjê

Zuletzt bearbeitet: 1. März 2024

Nach einer traumatischen “Befriedung”, die in den 1970er Jahren stattfand, und bei der sie 70% ihrer Bevölkerung verloren, haben die “Gaviões“ inzwischen ihre demografische Krise überwunden und ihre Lebensweise rekonstruiert. Das Dorf “Kaikoturé“, aus dem Jahr 1984, stellt in seiner Konzeption das Zukunftsprojekt der “Parkatêjê“ dar: Es ist in der traditionellen Kreisform der Timbira-Dörfer angelegt, besteht jedoch aus Häusern mit gemauerten Wänden, die an das Versorgungsnetz mit Wasser, Licht und Abwasser angeschlossen sind.

Gavião Parkatêjê

Gaviao Parkateje – Foto: Screenshot Video

nach obenDer Name

Der Name “Gavião” wurde verschiedenen Timbira-Gruppen von den Reisenden des 19. Jahrhunderts gegeben, die auf diese Weise ihren kriegerischen Charakter hervorheben wollten. Unter den so genannten Stämmen unterschied Curt Nimuendajú die “Okzidentalen“, die Westlichen“ und die “aus dem Wald“ – mit letzteren meinte er jene, die im Becken des Rio Tocantins lebten, in der Absicht, sie auf diese Weise von den “Pukôbjê“ und “Krinkatí“ am Oberen Rio Pidaré (Bundesstaat Maranhão) zu unterscheiden, die ebenfalls als “Gaviões“ bekannt sind.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verteilten sich die “Westlichen Gaviões“ auf drei lokale Einheiten, und die gaben sich jeweils eine Selbstbezeichnung, die dem Abschnitt entsprach, den sie im Tocantins-Becken bewohnten. Eine Einheit nannte sich “Parkatêjê“ (Par = Fuss, Sockel, katê = Besitzer und jê = Volk), “das Volk vom Sockel“, während eine andere, Kyikatêjê (Kyi = Kopf) “das Volk des Oberlaufs“ ist – denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wegen eines Krieges zwischen den Beiden, flüchtete die erste Einheit zum Oberlauf des Rio Tocantins, schon im Bundesstaat Maranhão. Deshalb sind die Kyikatêjê auch als “Gruppe aus Maranhão“ bekannt (nicht zu verwechseln mit den “Pukôbjê“ und den “Krinkatí“). Die dritte Einheit, das “Volk des Gebirges“ – nach ihrer Selbstbezeichnung “Akrãtikatêjê“ (akrati = Berg, Gebirge), besetzte den Oberlauf des Rio Capim.

Obwohl sie gegenwärtig alle wieder vereint sind, haben sich die Unterscheidungen der drei Einheiten eingeprägt und erhalten. Jedoch gibt es eine Selbstbezeichnung, die für alle gilt, und die auf dem Schild am Eingang zum neuen Dorf zu lesen ist: “Comunidade Indígena Parkatêjê“ (Indigene Kommune Parkatêjê) – sie wurde von den Gaviões selbst kreiert als Ausdruck der von ihnen 1976 errungenen Autonomie, mit der sie den neuen interethnischen Beziehungen entgegensehen.

nach obenSprache

Die Gaviões sprechen einen Dialekt der Orientalischen Timbira-Sprache, die zur linguistischen Familie “Jê“ gehört.

Ab 1981 – mit der systematischen Funktion der Schule des FUNAI-Postens und der Intensivierung der Beziehungen zu verschiedenen Segmenten der nationalen Gesellschaft – fand eine Verbreitung der portugiesischen Sprache in akzentuierter Form statt, inklusive unter Kindern und Jugendlichen. Auf der anderen Seite wurde durch die Wiederaufnahme der zeremoniellen Zyklen auch der Gebrauch der Originalsprache für den Gebrauch bei Ritualen, Gesängen und Vorträgen, weiter gefördert.

nach obenLebensraum

Die Gaviões leben im Indio-Territorium (IT) “Mãe Maria”, im Munizip von Bomjesus do Tocantins, im Südosten des Bundesstaates Pará. Gelegen auf festem Land des tropischen Regenwaldes, bilden die Flüsschen Igarapé Flecheira und Igarapé Jacundá, Zuflüsse des Mittleren Rio Tocantins, die Grenzen des IT.

Der Bach Ribeirão Maria, der im Innern des IT entspringt, gab dem SPI-Posten seinen Namen, als dieser 1964 dort installiert wurde, am Rand eines schmalen Fusspfades, welcher drei Jahre später zu einer Landstrasse der Region ausgebaut wurde: die PA-70 (wie sie lokal genannt wird, obwohl sie seit 1982 in PA-332 umbenannt wurde). Diese Landstrasse war die erste Verbindung des Munizips Marabá mit der Überlandstrasse Belém-Brasília, noch vor dem Bau der Transamazônica. 1967 durchschnitt sie in der gesamten Ausdehnung – zirka 22 Kilometer in Richtung Nord-Süd – die riesige Fläche der Paranussbäume, aus dem das Territorium der Gaviões besteht.

1977 wurde die Südwestgrenze des IT vom Bau einer anderen Landstrasse tangiert, der PA-150, die von Morada Nova – beim Kilometer 12 der PA-70 – nach Castanhal führt, einem Munizip in der Nähe von Belém. Der Bau dieser beiden Strassen beschleunigte die effektive und willkürliche Besetzung dieses orientalen Teils von Amazonien, und begünstigte eine systematische und zunehmende Invasion des Territoriums der Gaviões, sowohl durch illegale Landbesetzer als auch durch staatliche Bauvorhaben zur Infrastruktur von Projekten, die zukünftig in dieser Region eingerichtet werden sollten.

Etwas später wurde dann das IT auch noch von der Hochspannungsleitung der Eletronorte durchschnitten, die Strom aus dem Wasserkraftwerk von Tucuruí in die Städte lieferte, und 1982 wurden schliesslich die Eisenbahnschienen zum Abtransport der Mineralien aus der Serra dos Carajás ebenfalls durch das Gebiet der Gaviões verlegt.

Etwa 40 km von der Stadt Marabá entfernt, dem bedeutendsten Stadtkern der Region, und nur 30 km vom Dorf São Felix, befindet sich das Dorf “Kaikoturé“ der Gaviões – benannt nach einem Führer der Gruppe, Krohokrenhum – gegründet im Juli 1984. Es befindet sich etwa einen Kilometer abseits der Strasse PA-70.

nach obenBevölkerung

Ab 1975, fünfundzwanzig Jahre nach ihrer “Befriedung”, durch die sie 70% ihrer Bevölkerung einbüssten, begannen die Gaviões eine breite Tendenz zum demografischen Wachstum zu präsentieren. Dieser Erholungsprozess bediente sich zum Teil kurioser Mittel, wie zum Beispiel der Wiedereingliederung von Männern und Frauen, die unter den Zivilisierten oder anderen indigenen Stämmen aufgewachsen waren, Männer, die mit regionalen Frauen verheiratet waren, Frauen, die ins Volk der “Pukôbjê“ eingeheiratet hatten, Familien oder Einzelindividuen aus indigenen Ethnien, die keine Timbira waren, und sogar weisse Männer – eine Politik, die vor allem ein Ziel anvisierte: wieder ein zahlenmässig grosses Volk zu werden.

1985 betrug die Bevölkerung der Gaviões 176 Personen, jedoch lebten im Dorf “Kaikoturé“ auch 16 “Guaranis“, ein “Ka’apor“, ein “Tembé“ und 17 “Kupên“ (Zivilisierte). Die Gruppe bestand vor allem aus Kindern und Jugendlichen (von 0 bis 20 Jahren), die mehr als 60% der Gesamtzahl ausmachten. Insgesamt konnte man ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern zugunsten der Männer feststellen, was sich jedoch durch eine grössere Anzahl weiblicher Neugeborener zu regulieren versprach.

Die Gaviões Parkatêjê überstanden die Krise und präsentierten im Jahr 1998 eine Bevölkerung von 338 Individuen, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche (Jane Beltrão, 1998). 2010 war ihre Gesamtbevölkerung auf 582 Personen angewachsen.

nach obenGeschichte des Erstkontakts

Basierend auf den Berichten von Reisenden des 20. Jahrhunderts, erwähnte Nimuendajú den genauen Standort der Gaviões am Oberlauf der Flüsse Jacundá und Moju, wo tatsächlich ihre grossen Dörfer bis in die 1960er Jahre gestanden haben. In diesem Gebiet durchliefen die Kontakte und Beziehungen der Indios Gaviões mit den Expansionsfronten der nationalen Gesellschaft unterschiedliche Phasen, die von der Ausbeutung der wirtschaftlichen Ressourcen des Rio Tocantins abhingen. Die erste Phase mit sporadischen, friedlichen Kontakten, auf Sichtweite zwischen Indios und “Zivilisierten“, als die Pioniere das Flussufer zum Kampieren benutzten. Diese Phase dauerte bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als man noch keine Notwendigkeit darin sah, in die Wälder des Interiors einzudringen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch, veränderte der vegetative Extrativismus (Kautschuk, Copaíba-Öl und schliesslich die Paranuss) die sozio-ökonomische Struktur des Mittleren Tocantins und des Ortes Burgo do Itacaiúnas, aus dem die Stadt Marabá hervorging. Die Sorge der Bevölkerung zur Neutralisierung der Gaviões fällt mit dem Beginn der Ausbeutung der Paranuss zusammen – um 1920 herum – als man begann, die Wälder am rechten Ufer des Rio Tocantins auf der Suche nach den “Castanhais“ (Nussbaumgruppen) zu durchkämmen.

Die traditionelle orale Überlieferung bezieht sich auf jene Periode, geprägt von der Verhärtung der Beziehungen mit den “zivilisierten Leuten“, den “Kupên“. Nach einem Bericht von Krohokrenhum fingen die Indios an, sich an die Präsenz von Weissen in ihrem Territorium zu “gewöhnen“. Anfangs schienen die Beziehungen einen freundschaftlichen Verlauf zu nehmen, denn die Indios erhielten von den Kupêns Industriegüter, wie Messer und Äxte. Bald darauf gingen die Beziehungen jedoch in Feindschaft über, mit Toten auf beiden Seiten, besonders nachdem ein Indiohäuptling am Rio Tauri von Nusssammlern ermordet worden war. Die Gaviões schlugen zurück und töteten drei Nusssammler, und brannten ihr Camp nieder (Zeitung “Folha-do-Norte“, vom 25.03.1938). Eine Vergeltungsphase mit Toten gegen Tote prägte die verhärtete Beziehung zu den Zivilisierten.

Die Konflikte zwischen den Gaviões und den Nusssammlern vertieften sich in dem Masse wie dieses Produkt für die regionale Wirtschaft an Bedeutung zunahm. Am rechten Ufer des Rio Tocantins entwickelten sich die bewaffneten Zusammenstösse auf einer Länge von 180 Kilometern und tangierten die Munizipien von Tucuruí, Itupiranga, Marabá und São João do Araguaia. Die Gaviões wurden angeklagt, “monströse Abschlachtungen“ zu praktizieren, und in Marabá, dem bedeutendsten Geschäftszentrum der Region während der 1930er und 1940er Jahre, organisierten Lokalpolitiker, Geschäftsleute und Besitzer von “Castanhais“, Expeditionen zur Vernichtung der Indios.

Erst 1937 installierte der SPI einen Posten am Rio Ipixuna, der die Gaviões anlocken sollte. Und sie kamen gleich darauf – viele Indios begannen den Posten aufzusuchen, um Werkzeuge und andere “Geschenke“ zu erhalten. “Als sie jedoch bei einem solchen Besuch den Posten ohne Werkzeuge vorfanden und, vor allem, auch ohne Maniokmehl, zeigten sie ihren Unwillen offen und töteten einen der Angestellten mit Pfeilschüssen. Danach hörten ihre Besuche des Postens auf – sie hatten friedliche Kontakte mit anderen Orten am Tocantins hergestellt, besonders mit einem Ort, der “Ambauá“ genannt wurde, in unmittelbarer Nähe von Tucuruí“ (Arnaud: 1975, 37).

1945, nach einem Ortswechsel, errichtete der SPI einen Posten in “Ambauá“ und nahm von dort aus seine Arbeit mit den Gaviões wieder auf. Die verschiedenen lokalen Einheiten, in die sich die Gaviões aufgeteilt hatten, wechselten sich im Besuch des Postens ab – auch mit kriegerischen Zwischenfällen, die dann in der nationalen Presse in alarmierender Form angeprangert wurden – zwischen 1948 und 1951 (wie zum Beispiel das publizierte Material im “Estado do Pará“ vom 29.01.1948 und im “O Cruzeiro“ vom 31.03.1951 – siehe Arnaud: 1984, 12-13).

Der Anfang der 1950er Jahre war geprägt durch die entscheidende Übertretung einer traditionellen Ordnung, als die angestammte Ordnung ihres Gesellschaftssystems durch die Zerstörung ihres Territoriums geschwächt wurde, als Krankheiten sie befielen und die Bevölkerung abnahm. Ohne irgendwelche Widerstandskräfte in den lokalen Einheiten, die sich aufgespaltet hatten, waren sie gezwungen, die einzige Überlebenschance wahrzunehmen, nämlich den erneuten Kontakt mit den “Kupên“ – den Zivilisierten, den Christen.

Nach dem Tod des alten Häuptlings der Gaviões, den die Regionalen “Indiuma“ nannten, und der während seines ganzen Lebens den Kontakt mit den “Kupên“ abgelehnt hatte, begann sich die Führung von “Krohokrenhum“ bei den wenigen Mitgliedern der Gruppe “Cocal“, im Dorf “Parkatêjê“, durchzusetzen – seine Entwicklung als Führer und Sänger ist verbunden mit seinem persönlichen Mut und dem seiner Gefolgsleute hinsichtlich der Annäherung an die Zivilisierten.

Die entscheidenden Kontakte mit der Gruppe “Cocal“ fanden 1956 statt, durch eine von dem Dominikanerpater Frei Gil Gomes Leitão organisierte Expedition, und durch einen Leutnant der Reserve im Dienst des SPI. Mit wenigen Mitteln traten sie in Kontakt mit den Gaviões, um zu verhindern, dass von den Lokalpolitikern organisierte Strafexpeditionen ihr Ziel erreichten: die Indios zu vernichten, um anschliessend die “Castanhais“ ausbeuten zu können, in denen die Indios sich niedergelassen hatten.

Nach dem gelungenen Kontakt erschienen verschiedene Komponenten der Gruppe “Cocal“ in dem Städtchen Itupiranga, wo sie zirka vier Monate lang blieben und der lokalen Bevölkerung mit kleineren Dienstleistungen zur Hand gingen – sie füllten die Wasserreservoirs auf, sammelten Brennholz oder präsentierten sich als hervorragende Bogenschützen – dafür bekamen sie alte Kleidung und zu essen. Nachdem sie schliesslich in ihr Dorf zurückgekehrt waren und ihre Verwandten mit den Viren der Zivilisierten angesteckt hatten, nahm die Entvölkerung ihren weiteren Verlauf in Form von Grippe- und Masernepidemien, denen die meisten Bewohner zum Opfer fielen.

Entsetzt durch das Geschehen, verliess die Gruppe “Cocal“ ihr antikes Dorf, um sich in eine Gegend zu flüchten, wo es keine systematische Assistenz seitens des SPI für sie gab – die Mittel für ihre Selbsterhaltung waren prekär, und das Land war bereits von regionalen Einwanderern besetzt. Nach einem Bericht von Frei José, einem Dominikaner, der die Gaviões besuchte, gehörte das Territorium einem Abgeordneten aus Belém.

Die Gaviões bestellten kleine Felder und begannen, Eigennamen aus der portugiesischen Sprache zu übernehmen die, zusammen mit der Benutzung von Kleidung, die Elemente eines spezifischen Kommunikations- und Interaktionssystems zwischen ihnen und den “Kupên“ bildeten, die ihnen Industriegüter gaben. Die Beamten des SPI regten die Indios an, Paranüsse zu sammeln, im Tausch gegen Haumesser, Beile, Munition und Nahrungsmittel. Das “Castanhal“ (Territorium mit vielen Paranussbäumen), in dem sie sich niedergelassen hatten, gepachtet von einem “Senhor Benedito“, der ihnen “erlaubte“, sich dort aufzuhalten – und so zum “Freund“ der Gaviões avanciert war – wurde exklusiv von ihnen ausgebeutet. Die Produktion verkauften sie in Itupiranga, und der Transport wurde von einem Angestellten der Präfektur jenes Munizips organisiert, der als Agent des SPI innerhalb der Gruppe agierte. So wurden die Gaviões in die wirtschaftlichen Operationen von Kauf und Verkauf gegen Anfang der 1960er Jahre eingeführt.

Im Gegensatz zur Gruppe “Cocal“ liess sich die Gruppe des “Gebirges“, gegen Ende 1960, an dem Ort “Ambauá“ nieder, wo es bereits seit Anfang der 1940er Jahre einen SPI-Posten gab. Ihre regelmässigen Kontakte mit den Einwohnern von Tucuruí – zirka ein halbe Stunde Bootsfahrt vom Posten entfernt – führten dazu, dass sie nicht mehr länger als “Diebe“ betrachtet wurden, denn sie belieferten den lokalen Markt mit Wild, Fisch und Paranüssen. Nach Ansicht der Ortseinwohner waren sie “Crentes“ (Gläubige) geworden. In der Tat, ab 1964 hatten sich Mitglieder der Mission “Novas Tribos do Brasil“ im “Gebirge“ der Gaviões niedergelassen.

nach obenKonzentration in Mãe Maria

Seit 1943 gab es ein Stück Land, das den Indios Gaviões per Dekret vom damaligen Regierungsvertreter des Bundesstaates Pará zur Verfügung gestellt worden war. Wie Antonio Cotrim, vom SPI berichtet, pflegten die Gaviões an einem Strand des Rio Tocantins, vor dem “Castanhal Mãe Maria“ zu erscheinen, um sich mit dem Administrator anzufreunden. Dieser folgerte, dass die Indios am Oberlauf des Bächleins Mãe Maria leben müssten, und er sorgte dafür, dass sie das Stück Land zwischen den Flüssen Rio Flecheiras und Rio Jacundá zurück bekamen (Soares: 1983).

Ende der 1960er Jahre, begünstigt durch die Eröffnung der Landstrasse PA-70 und das schnelle Voranschreiten der Viehzüchter-Front, fielen Landbesetzer und Bodenspekulanten in Scharen in das Stück Land der Gaviões ein und übten einen derartigen Druck auf die kleine Gruppe Indios aus, dass diese sich in den Nachbarstaat Maranhão flüchteten, an einen Ort, der als “Igarapé dos Frades“ bekannt wurde, in der Nähe des Städtchens Imperatrix (Arnaud: 1975, 72-76). Ende 1968 wurde dann das Gebiet, in dem sich die “Gruppe von Maranhão“ aufhielt – in der Nähe der PA-70, jedoch 150 km von Mãe Maria entfernt – durch eine Regierungsverordnung gesperrt (Dekret Nr. 63.515 vom 31.10.1968), eine Massnahme, die von der Pionierbevölkerung nicht respektiert wurde. Die Gaviões reagierten mit Gewalt – es gab Tote auf beiden Seiten, was zu einer allgemeine Panik in der gesamten Region führte (Zeitung “O Estado de São Paulo, vom 30.05.1972).

Für den definitiven Kontakt mit der Gruppe wurde ein Abschnitt von einigen Kilometern der PA-70 vom Militär, der FUNAI, der Regierung von Pará und der Landespolizei gesperrt. Auf diese Weise gelang es der von Cotrim geleiteten “Befriedungsfont“, unterstützt von Dolmetschern der “Gaviões aus dem Gebirge“, noch im Jahr 1968 den Kontakt herzustellen. Angesichts eines eventuellen Massakers, mit dem die Gruppe durch die aufgebrachte Bevölkerung zu rechnen hatte, verhandelte die FUNAI ihre Verlegung nach Mãe Maria. Mittels einer Geldsumme für die Kosten der Verlegung jener Gruppe, übergab man das Gebiet einem regionalen Bodenspekulanten. Heute ist dieses Areal bekannt unter dem Namen “Cinelândia“, wird von der Eisenbahn “Ferrovia Carajás“ durchquert und ist besetzt von zirka 15.000 Invasoren, die sich auf unzählige Dörfchen verteilen.

Anfang der 1970er Jahre, durch den Impuls der Regierungspolitik (Militärdiktatur) einer schrittweisen Besetzung der so genannten “leeren Räume“ in Amazonien, begann man mit der Entwicklung gigantischer Projekte, wie der Konstruktion der “Transamazônica“ und des Wasserkraftwerks von Tucuruí – mit dem Hintergedanken der Mineralienausbeutung in der Serra dos Carajás. Die FUNAI schlug daraufhin die Verlegung der “Gruppe aus dem Gebirge“ ins Interior des Postens Mãe Maria vor – ihrem Vorschlag folgten sechs junge, unverheiratete Männer im Jahr 1971. Im darauf folgenden Jahr begann man mit der Konstruktion des Staudamms für das Wasserkraftwerk von Tucuruí – just in dem Gebiet, das die Gaviões im Jahr 1945 zugewiesen bekommen hatten.

nach obenDer Führer des Kontakts

Krohokrenhum erlebte den Kontakt mit den “Kupên“ von Anfang an – er war sein grösster Befürworter. Er stellte sich in jedem Prozess sofort an die Führungsspitze und, in einem bestimmten Moment, glaubte er tatsächlich, dass sich sein Volk dem unabänderlichen Ende näherte. Die Führung übernehmen, hiess, Entscheidungen für die gesamte Gruppe zu treffen: Von der Verlegung nach Mãe Maria an, über die Unterwerfung während des Sammelns der Paranüsse, bis zur wachsenden Unzufriedenheit und dem definitiven Bruch jener Ordnung.

Im Verlauf dieser Periode nach dem Kontakt wuchs sein Prestige als Chef der Gaviões, die schliesslich in einem einzigen Dorf vereint waren. Als grossartiger Sänger und geschickter Bogenschütze, als der er von den Seinen verehrt wurde, war Krohokrenhum auch seit 1976 der grosse Befürworter einer Rückkehr zu den zeremoniellen Zyklen seines Volkes. Er war der Gradmesser aller internen Konflikte und externen Bedrohungen, in Situationen, welche ein Risiko für die Harmonie der Gruppe bedeuteten. Als Wächter der Integrität des Territoriums, stets bedroht durch den intensiven Besetzungsprozess der Region um Marabá, wusste Krohokrenhum, dass die Auseinandersetzung mit den Zivilisierten Kampf bedeutete, der niemals endet.

Krohokrenhum widerstrebt es, sich vom Territorium der “Comunidade Indígena Parkatêjê“ zu entfernen. Er pflegt Abgesandte zu schicken und drängt darauf, dass sich einige seiner Stammesmitglieder auf “Beziehungen nach aussen“ spezialisieren (Kommerz, Banken, FUNAI, Paranuss-Export, etc.), für die benachbarten Orte, für Marabá, Belém und Brasília. Ganz selten verlässt Krohokrenhum selbst sein Dorf, aber seit längerer Zeit legt er Wert darauf, dass zu wichtigen Verhandlungen, welche das Schicksal der Gaviões betreffen, die entsprechenden Repräsentanten der Regierung in seinem Dorf erscheinen. Im Lauf des Jahres 1977 wurde er berühmt durch seine wiederholte Weigerung auf die Einladung des Innenministers Rangel Reis, anlässlich eines Bankkredits für die Paranussernte, in Brasília zu erscheinen, um den entsprechenden Vertrag zu unterzeichnen. Durch denselben Stil zeichnete er sich auch aus bei späteren Verhandlungen mit der “Eletronorte“ oder der “Companhia Vale do Rio Doce (CVRD)“, bei denen es um riesige Entschädigungssummen ging, die diese Unternehmen aufgrund der partiellen Nutzung des Indio-Territoriums anboten. Krohokrenhum kennt die in seiner Region und in Brasília verbreitete Legende, die behauptet, dass “die Gaviões mit den Entschädigungen reich geworden sind“. Und er verachtet die meisten Versionen der Presse bezüglich der Veränderungen, die im Dorfleben der Gaviões stattgefunden haben.

Die Standhaftigkeit seiner Führung und seines Prestiges als Häuptling der Gaviões ist ein bemerkenswerter Faktor, trotz gewisser Führungskrisen. Im Juli 1985, zum Beispiel, in einer ungewöhnlichen, dramatischen Geste, mit folgenschweren Auswirkungen auf das Dorfleben, zerbrach Krohokrenhum öffentlich seine Zeremonienrassel und seinen Bogen und gab Befehl, die Baumstämme zu zerstören, die zum festlichen Staffellauf benutzt zu werden pflegten – das alles wegen einer aufsässigen Gruppe Jugendlicher, die gerade aus der Stadt zurückgekommen, es vorzogen, Fussball zu spielen, anstatt an einem traditionellen Ritual mit Gesang und Tanz ihres Volkes teilzunehmen.

Mit den “Kupên“ wechselte er nie besonders viele Worte, aber im Kreis seiner Stammesgenossen war er ein brillanter Redner mit langen und häufigen Vorträgen. Krohokrenhum war die Leitfigur einer entschlossenen Widerstandsbewegung der Gaviões.

nach obenEntwicklung der Paranuss

Die Verlegung sämtlicher lokaler Gruppen ins “Indio-Territorium Mãe Maria“ befähigte die FUNAI, dort die nötigen Arbeitskräfte zur Entwicklung einer Aktivität zusammenzubringen, welche aus diesem Posten den grössten Paranuss-Produzenten der 1970er Jahre machte. Das wirtschaftliche Ausbeutungssystem, dem die Gaviões als Sammler der Nüsse unterworfen waren, bestand zehn Jahre lang – von 1966 bis 1976. Während dieser Periode erholten sich die Indios von ihrer demografischen Schrumpfung mittels der durch die FUNAI gewährten Gesundheitsvorsorge.

Jedoch im Lauf der Jahre führte die Manipulation und Verteilung des Gewinns aus den Paranüssen, mittels einer “Kommissionszahlung“ seitens der FUNAI an die Indio-Führer, zunehmend zur Unzufriedenheit unter den Gaviões. Ausserdem: die Arbeitsverpflichtung zum Sammeln der Nüsse während sechs Monaten pro Jahr und ein enormer körperlicher Einsatz zum Erlangen von Gütern, die sich als unverzichtbar entwickelt hatten, verhinderten eine Durchführung der traditionellen Aktivitäten, wie zum Beispiel die eigene Feldbestellung oder die Zeremonien längerer Dauer.

Krohokrenhum entschloss sich, persönlich bei der FUNAI-Niederlassung in Belém vorstellig zu werden, um das Problem der von der FUNAI praktizierten Kommissionszahlung für die Nusssammler zu lösen. In einem hitzigen Dialog zwischen ihm und dem regionalen FUNAI-Leiter erklärte er, dass er von jetzt an aufhören würde, die Paranüsse von Mãe Maria zu verkaufen, denn seine Männer wären unzufrieden mit dem ihnen vorgesetzten System, und es interessiere ihn nicht, dass dieses System von anderen Indios bei anderen FUNAI-Posten akzeptiert würde – nicht mehr bei den Gaviões!

Im selben Jahr war die Anthropologin Iara Ferraz dabei, Vorarbeiten für ein Projekt zur Koordinierung der Paranussernte der Gaviões von Mãe Maria durchzuführen. Zusammen mit den Gaviões besprach sie die konkrete Möglichkeit, den Verkauf der Produktion direkt mit den Agenten der Exportunternehmen zu verhandeln, ohne die Vermittlung der FUNAI.

Trotz der anfänglichen Hindernisse – administrativer und politischer Art seitens der FUNAI und des DGPC in Brasília – bedeutete die Ernte im Jahr 1976 die Eroberung der Autonomie für die Gaviões. Als neugebackene Produzenten konnten sich die Gaviões auch vor dem regionalen Publikum bestätigen und wurden respektiert und bewundert. Gleichzeitig kehrten sie zu einer einheitlichen Haltung gegenüber ihrer ethnischen Identität zurück, die bedroht war. Um den Unterschied bezüglich der “Zeit in der die FUNAI das Sagen hatte“ zu demonstrieren, übernahmen die Gaviões die kollektive und institutionalisierte Selbstbezeichnung “Indigene Kommune Parkatêjê“ – zur gleichen Zeit eröffneten sie wieder die “Kantine“ zur Neuverteilung von Industriegütern in grösseren Mengen.

Die von ihnen vorgenommenen Veränderungen führten auch zum definitiven Bruch mit den Agenten der “Missões Novas Tribos do Brasil (MNTB)“, die sich seit 1971 bei der “Gruppe von Maranhão“ festgesetzt hatten – ausserdem wurden die Beziehungen zu den Funktionären der FUNAI komplett umgestaltet. In Übereinstimmung mit dem regionalen Modell zur Besetzung und Expansion, zeigten sich die Gaviões angezogen von einer Reihe “Geschäftsmöglichkeiten“ – später “Projekte der Kommune“ genannt – die ihnen Gewinne abzuwerfen versprachen und so den finanziellen Fundus der Kommune aufzustocken versprachen.

Die “Paranüsse der Gaviões“ – zu unterscheiden von den “Paranüssen der FUNAI“ – wurden in Belém verkauft, wohin die Produktion mit von der Kommune gecharterten LKWs transportiert wurde. Auf diese Weise festigten die Gaviões direkte und persönliche Beziehungen mit bestimmten Segmenten der nationalen Gesellschaft, die sie bis dato nicht gekannt hatten, und die vor allem aus Exporteuren und Bankagenten bestanden. Die finanzielle Kontrolle der Ernte und aller anderen kommerziellen Operationen wurde 1976, mittels Kassenbüchern, von zwei Mitgliedern der “Gebirgs-Gruppe“ gehandhabt, als Assessoren des Häuptlings Krohokrenhum. Diese Arbeit verrichteten sie in Anwesenheit des Häuptlings, assistiert vom Chef des FUNAI-Postens. Diese beiden Repräsentanten unterzeichneten auch Verträge und bewegten Bankkonten im Namen der “Comunidade Indígena Parkatêjê“ – deren Dokumente nunmehr mit ihrem neuen Logo bedruckt waren, welches die antiken FUNAI-Stempel ersetzt hatte.

nach obenEletronorte und Vale do Rio Doce

Bald nachdem es den Gaviões gelungen war, als autonome Geschäftsleute die Nussernte von 1976 zu exportieren, bekamen sie den Druck auf ihr Territorium von aussen zu spüren, und zwar von grossen Unternehmen der Landesregierung: zum einen wegen einer Hochspannungsleitung der “Eletronorte“ durch ihr Gebiet und danach, wegen einer geplanten Eisenbahnlinie des “Projeto Carajás“.

Angesichts der Unmöglichkeit, den geplanten Verlauf der Hochspannungsleitung zu ändern, die Marabá mit Imperatriz verbinden sollte und just über ihren grössten “Castanhais“, ihren Feldern und ihrem Dorf verlaufen sollte, in dem alle zusammen lebten, verlangten die Gaviões die Vorauszahlung einer Entschädigung, in Bargeld und direkt an die Kommune, abgesichert durch einen Vertrag. Eine Reihe von direkten Verhandlungen zwischen ihnen und Repräsentanten der “Eletronorte“ resultierten in einer Vereinbarung (1980) zur Zahlung einer Entschädigung von 40 Millionen Cruzeiros.

Die Entschädigung erlaubte die Realisierung von Krohokrenhums Projekt, ein neues Dorf anzulegen, an einem Ort, wo die Hochspannungsleitung niemanden störte. Es wurde ein Dorf mit Häusern aus gemauerten Wänden und Ziegeln gedeckten Dächern, aufgestellt im traditionellen Kreisrund um den Dorfplatz, eingeweiht 1984 – ein Paradigma des gesellschaftlichen Neubeginns dieser indigenen Gesellschaft. Um diesen Neubeginn möglich zu machen, musste die Kommune sich einer Reihe von Schwierigkeiten stellen, besonders der Einmischung der FUNAI in den Fortschritt der Bauarbeiten.

Noch im Jahr 1980 standen die Gaviões vor einer neuen Bedrohung: die Konstruktion einer Eisenbahnlinie als Verbindung zwischen der Serra dos Carajás (Mineralienabbau) und dem Ort Itaqui – die Schienen sollten das Indio-Territorium durchqueren. Die Verhandlungen rund um die Entschädigung führten zu einer ersten Vereinbarung und der Zahlung von 56 Millionen Cruzeiros an die Kommune (1982). Jedoch wurden später verschiedene Abzüge geltend gemacht.

Wenige Monate später wappneten sich die Gaviões für neue “Zusammenstösse“ mit den “Kupên“. Sie gründeten eine Bewegung, um die “Eletronorte“ zu zwingen, eine Gavião-Familie “des Gebirges“, die in ihrem traditionellen Gebiet, bei Tucuruí, verblieben war, zu entschädigen. Diese Verhandlungen dauerten einige Jahre an, unter Einbeziehung verschiedener Agenturen. Sie endeten im Januar 1984, als die Kommune eine Entschädigung von 50 Millionen Cruzeiros akzeptierte.

nach obenTraditionelle Aktivitäten

Die Aufteilung der verschiedenen Arbeiten geschieht zwischen den Geschlechtern und zwischen den Altersklassen. Aktivitäten der Frauen – vereint in Gruppen von Schwestern, realen oder klassifikatorischen, beziehen sich auf die Pflanzungen und das Abernten der Felder mit Knollenfrüchten (Kartoffeln, Cará, weisse und rote Inhame, Kupá – eine Liane, die traditionell von den Timbira-Stämmen kultiviert wird). Ausserdem kultivieren sie zwei Arten von Maniok, drei Arten Mais, eine Art Erdnüsse und sechs verschiedene Bananenarten. Traditionell gehören diese Felder den Frauen.

Der Ackerbau spielt bei den Gaviões eine bedeutende Rolle als Quelle der Selbsterhaltung. Die Männer widmen sich dem Pflanzen von Reis auf grossen Flächen (zwischen 10 und 15 Hektar), deren Produktion für den Konsum der Kommune verwendet wird. Später wurden sogar noch grössere Flächen (zirka 30 Hektar) von den “Kupên“ angepflanzt, die von den Gaviões für diese Arbeit unter Vertrag genommen wurden. Diese Produktion ist für den Kommerz bestimmt.

Auch die Jagd stellt noch eine bedeutende Proteinquelle zur Selbsterhaltung der Gaviões dar, obgleich man sie nur noch bei zeremoniellen Gelegenheiten betreibt, infolge des zunehmenden Verschwindens der Wildtiere durch die grosse Waldzerstörung im Umfeld des Indio-Territoriums. Trotzdem werden noch Hirsche, Wildschweine, Gürteltiere, Agutis und Affen (Kapuziner und Brüllaffen) mit dem Karabiner innerhalb des Territoriums erlegt.

Die Erbeutung von Wild, sowie auch das ausweiden und die Verteilung des Fleisches unter den nächsten Verwandten, Verschwägerten und Blutsbrüdern, ist eine maskuline Aufgabe, die viel Prestige einbringt. Die Zubereitung des Fleisches, und der Nahrung im Allgemeinen, ist Sache der Frauen.

Aus Tradition ist das Sammeln von Waldfrüchten – “Bacaba, Açaí, Inajá, Macaúba” und “Babaçu”, ausserdem “Ingá“ und “Cupuaçu“ sowie der “Castanha-do-pará“ (Paranuss) – ebenfalls eine Aufgabe der Frauen und von grosser Bedeutung für ihre Lebenshaltung. Heute wird das Sammeln von beiden Geschlechtern ausgeführt.

Was den Fischfang betrifft, so steht diese Aktivität bei den Gaviões nicht direkt im Vordergrund, und sie bevorzugen den Fang des “Poraquê“, mit dem ihre Frauen die beliebten “Berarubus“ (oder “Kupiti“) herstellen, einen traditionellen Leckerbissen der Jê-Gruppen. Dazu wird ein Fischfilet oder Wildfleisch zwischen zwei Fladen aus geraspelter Maniok gelegt und dann, in einem Bananenblatt verpackt, auf heissen Steinen gebacken – auf einem provisorischen Feuer, bedeckt mit Erde, im Hinterhof des Hauses.

Wenn andere Nahrung fehlt, begeben sich Frauen und Kinder zum Fischen. Sie fangen kleinere Fische, wie “Carás“ und “Traíras“, mit Nylonschnur und Angelhaken, in den Bächen im Umkreis des Dorfes. Während der Trockenzeit machen sie Ausflüge per Kanu, um mit Netzen zu fischen, die in der Regel von den “Kupên“ hergestellt und eingetauscht wurden).

Die Konfektion von Maniokmehl nach regionaler Art wurde generell in grossen Mengen von beiden Geschlechtern ausgeführt, in harter, kräftezehrender und zeitaufwendiger Handarbeit. Die Produktion war für den Verbrauch der gesamten Gruppe bestimmt. Später gingen sie dazu über, das Mehl von den Kommerzianten der Umgebung zu kaufen, darüber hinaus auch andere industrialisierte Nahrungsmittel und Gebrauchsgüter (Öl, Salz, Zucker, Kaffee, Kerosin, Seife, Munition). 1983 erwarben sie von einem regionalen Geschäftsmann eine Maschinerie zur einfacheren Herstellung des Maniokmehls von den eigenen Feldern und kehrten damit zurück zur Eigenproduktion.

Das Kunsthandwerk stellt einen wichtigen Faktor zur Kommerzialisierung dar, in der Regel werden die Objekte vom jeweiligen Hersteller direkt an Besucher des Dorfes oder in Marabá verkauft. Meist sind es die älteren Männer, die sich auf die Konfektion von Objekten der materiellen Kultur der Gaviões am besten verstehen, Objekte, die immer noch einen realen Gebrauchswert im Leben dieser Menschen besitzen, wie zum Beispiel Musikinstrumente, Bogen und Pfeile, Kopf- und Körperschmuck, die bei zeremoniellen Anlässen von beiden Geschlechtern getragen werden. Unter den Gaviões gibt es zwei Familien, die von einer Guarani-Gruppe abstammen, und deren komplementäre Selbsterhaltung vom Verkauf des Kunsthandwerks abhängt, das sie herstellen.

nach obenGesellschaftliche Organisation

Die Identitätsstärkung der Gaviões, ab 1976, drückte sich sowohl in der neu eingegangenen Beziehung zu den Weissen, als auch in ihren wieder aufgenommenen produktiven Zyklen aus, wie zum Beispiel den ausgedehnten Zeremonien und Ritualen. Die Reartikulierung ihrer Gesellschaft setzte ausserdem einen erneuten Zusammenschluss aller lokaler Einheiten voraus, die bis dato in Untergruppen und kleine Fraktionen aufgespalten waren. In diesem Sinne fanden sie in dem grossen Dorf zusammen, welches heute alle okzidentalen Gaviões im “Indio Territorium Mãe Maria“ vereint.

Dieses neue Dorf, genannt “Kaikoturé“, besteht aus 33 Häusern, die in einem Kreis aufgestellt sind – rund um den Dorfplatz mit einem Radius von 200 Metern, die traditionelle Anlageform der Timbira-Dörfer. Es gibt einen breiten Weg rundherum, der die einzelnen Hauseingänge miteinander verbindet, und verschiedene radiale Pfade, die zum “Pátio-Central“ (Platzmitte) führen, wo die zeremoniellen Aktivitäten stattfinden.

Die traditionelle uxorilokale Wohngemeinschaft – bei der ein Ehemann im Haus seiner Ehefrau wohnt, die im Haus ihrer Mutter verbleibt – hat man aufgegeben wegen der Entvölkerung, die nach dem Kontakt stattfand. Später hat man diesen Brauch wieder aufgenommen – schon im alten Dorf von Mãe Maria – indem man sich in Wohnsegmenten gruppierte, die von Kernfamilien gebildet wurden, welche unter sich mütterlicherseits verbunden waren. In der Regel verbleiben Gruppen von Schwestern, reale oder klassifizierte, in gegenseitiger Nähe zueinander, im gleichen Segment, nach der Heirat.

Die Häuser des neuen Dorfes haben gemauerte Wände, die alle blau angestrichen sind, Türen und Fenster sind weiss, und die Dächer sind mit Lehmziegeln gedeckt. Alle haben sie Wasser, Licht und Abwassereinrichtung.

Das Haus von Krohokrenhum hat zwei Stockwerke. Im unteren Teil gibt es eine Veranda, einen Salon für wichtige Versammlungen, einen Fernsehraum (wo sich viele Jugendliche abends zu versammeln pflegen). Im Obergeschoss: Eine weitere Veranda, einen Aufenthaltsraum und drei Zimmer für seine Familie. Im Hinterhof seines Hauses gibt es ein weiteres gemauertes Gebäude, indem sich die Küche befindet und eine grosse Veranda, auf der gegessen wird. Dort finden auch täglich, am Nachmittag, Versammlungen aller Männer des Dorfes statt.

Gegenwärtig befindet sich hinter jedem Haus – dessen interne Raumaufteilung nicht unbedingt dem bei uns üblichen Muster mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Abstellraum, Küche und Bad entspricht – eine kleine Hütte aus Holz oder Palmblättern, nur teilweise von Wänden eingegrenzt, das stark an die traditionelle Timbira-Hütte erinnert. Dort verbringt die Familie einen grossen Teil des Tages: Hier kocht man und ruht zur Mittagszeit – das Innere des gemauerten Hauses wird nur nachts zum Schlafen benutzt. Viele Gaviões, und vor allem die Älteren, waren unzufrieden mit der Neuanlage des Dorfes, und sie beschweren sich besonders über die Hitze und den Lärm in den neuen gemauerten Häusern.

Die regionalen Arbeiter, die von den Gaviões für die Dorfkonstruktion verpflichtet wurden, wohnen gegenwärtig an der Seite des neuen Dorfes, in einer provisorischen Hüttenreihe aus Babaçu-Palmblättern, Brettern und Asbestdächern – dort haben zuvor die Gaviões ein Jahr lang (1980) gehaust, als sie auf die Fertigstellung der neuen Häuser warteten und in ihrem alten Dorf bereits die Hochspannungsmasten montiert wurden.

Trotz dem verbliebenen demografischen Ungleichgewicht, hat es das Wachstum der Bevölkerung den Gaviões ermöglicht, ihr traditionelles System der Altersklassen wieder aufzunehmen – als Referenz die männliche Bevölkerung, die in der Mehrzahl ist. So unterscheiden sie zwischen Kindern, Jugendlichen oder “Junggesellen“, Erwachsenen “verheiratet und ohne Kinder“ und den Erwachsenen “verheiratet und mit Kindern“. Jede dieser Klassen ist verbunden mit bestimmten Graden der Beteiligung an gemeinsamen Arbeiten und entsprechendem Prestige.

Obwohl sie ihre Originalsprache im dörflichen Alltag nur selten benutzen, haben die Gaviões ihr System der Namensgebung wieder aufgenommen, sowie die dadurch entstehenden Beziehungen, des Weiteren auch die Realisierung der zeremoniellen Zyklen langer Dauer, zum Zeichen einer Neubestätigung ihrer ethnischen Identität.

Jedes Individuum erhält zwei Namen (oder mehr), jedoch nur einer davon wird benutzt. Sowohl für Männer wie für Frauen überträgt ihnen die Namensgebung Verantwortung für ihr Handeln, während ihr Namensgeber sie durch die Zeremonien führt, ihnen Lieder beibringt, Techniken für den Staffellauf mit Baumstämmen beibringt und sie in die Mythologie ihres Volkes einführt. Die Eltern können die Namen ihrer nächsten verstorbenen Verwandten auf ihre Kinder übertragen. Dies ist eine besondere Art der Erhaltung eines Namens und des “Platzes“ der Verstorbenen. Jede Person tendiert dazu, die Mitglieder der Kommune mit denselben Verwandtschaftstermini zu titulieren, wie sie selbst von ihrem Namensgeber bezeichnet werden – ausgenommen sind die nächsten Blutsverwandten. Ein Kind nimmt sämtliche zeremonielle Mitgliedschaften dessen an, der ihm seinen Namen gegeben hat.

nach obenDie Wiederaufnahme der Rituale

Die von den Gaviões eingeleitete Reartikulation ihrer Rituale, die sie als “Rückkehr zu unseren Spielereien“ bezeichneten, bedeutete eine Wiederaufnahme von Institutionen und Grundregeln zur Operation des Systems der gesellschaftlichen Organisation. Noch im Jahr 1976 war das “Fest des neuen Mais“ – gegen Ende des Monats Januar, genau zu Beginn der Paranussernte – geprägt vom grossen Enthusiasmus und der Euphorie aller Beteiligten.

nach obenDie Rituale der Gaviões

Die Rituale der Gaviões betreffen die Beziehungen zwischen Personen und Gruppen unter Benutzung eines symbolischen Schemas: der Unterteilung in Hälften. Die gesamte Gruppe ist entsprechend dieser Hälften in Segmente unterteilt: “Pàn“ (Ara) und “Hàk“ (Falke), die unter sich die traditionellen Staffelläufe mit Baumstämmen und die Wettkämpfe mit Pfeil und Bogen austragen. Eine andere Unterteilung, mit den Segmenten Fisch, Otter und Rochen, findet zur Durchführung eines anderen zeremoniellen Zyklus Anwendung.

Aber es sind nicht nur jene “Hälften“, die an den Ritualen beteiligt sind. Man bemerkt in ihnen auch Oppositionen wie zum Beispiel zwischen Verwandten und Verschwägerten, zwischen formellen Freunden, zwischen Männern und Frauen oder auch zwischen Altersgruppen. Beim Fussballspiel, das häufig auf dem Zeremonienplatz selbst veranstaltet wird, unterteilt man die Mannschaften zwischen Jugendlichen und Erwachsenen Männern.

Es gibt Rituale, die einige Monate dauern – mit Eröffnungs- und Abschlussperioden. Der Staffellauf mit Baumstämmen, verbunden mit allen Ritualen, wird auch ausserhalb derselben als sportlicher Wettkampf häufig veranstaltet. Er wird als Wettkampf zwischen zwei oder drei Gruppen ausgetragen, die jenen zeremoniellen Segmenten entsprechen. Jede Teilnehmer-Gruppe transportiert ein etwa meterlanges Teilstück eines Babaçu-Palmenstammes, mit einem Gewicht um die 100 Kilogramm, auf den nackten Schultern ihres jeweiligen Läufers über eine festgelegte Distanz – Sieger ist die Gruppe, deren Läufer als Erster am Ziel eintrifft. Auf der mehrere Kilometer langen Strecke wechseln sich die einzelnen Teilnehmer nach Belieben beim Rennen mit den geschulterten Baumstämmen ab – der Sieg gehört dann der ganzen Gruppe. Nachdem die erschöpften Athleten das Dorf erreicht haben, werden sie von den Frauen gebadet, die in der Regel erst gegen Ende des Rennens in Erscheinung treten. Unzählige scherzhafte Kommentare, die sich auf das Abschneiden der einzelnen Läufer beziehen, kann man anschliessend im Dorf vernehmen. Übrigens gibt es einen solchen Staffellauf auch für die Frauen, allerdings mit leichteren Baumstämmen von bis zu 70 Kilogramm maximalem Gewicht.

Parallel zu den Staffelläufen hat man auch die “Spiele“ mit Pfeil und Bogen wieder als Praxis zur Intensivierung des Wettstreits im Dorf aufgenommen – öffentlich als sportlicher Wettkampf und auch innerhalb bestimmter Rituale. Bei zeremoniellen Anlässen bestehen diese „Spiele“ aus Wettkämpfen, die im Lauf des Tages ausgetragen werden, nach dem Staffellauf.

1983 führten die Gaviões einen wichtigen zeremoniellen Zyklus wieder ein, der das Mannbarkeitsritual betrifft – den “Pemp“, der seit 25 Jahren nicht mehr praktiziert worden ist, genau seit der Zeit, als sie in definitiven Kontakt mit den “Kupên“ traten. Obgleich sich dieses Ritual mit der Initiation der jungen, angehenden Krieger befasst, wird die gesamte Kommune von grossem Enthusiasmus erfasst und gerät in freudige Bewegung – besonders wenn zu diesem Anlass der Rollentausch stattfindet: Jetzt feuert man die Frauen beim Staffellauf mit Baumstämmen und beim Wettkampf mit Pfeil und Bogen an.

Die jungen Initianten verbleiben einige Monate zurückgezogen in einer kleinen Hütte, die hinter dem Haus eines der Zeremonienführer aufgestellt ist und mit Babaçu-Wedeln verschlossen. An diesem Ort erhalten sie spezielle Instruktionen, basierend auf Tapferkeit und Ehre, Prinzipien der Verinnerlichung eines Krieger-Ethos, das insbesondere die Jê-Gruppen auszeichnet. Sie verlassen die Hütte nur zur Durchführung kollektiver Aktivitäten, wie Jagdausflüge und das Abernten der Felder. Stets zusammen, nehmen die “Pemp“ auch ihr tägliches Bad an einer exklusiven Stelle des Baches Mãe Maria. Und die Älteren sagen: “Ihr müsst viel baden, um schnell zu wachsen“!

Diese feierliche Periode der Abgeschiedenheit, wo sexuelle Beziehungen verboten sind und auch das Essen von bestimmten Nahrungsmitteln – wie Fleisch vom Wild und Paranüsse – prägt den Übergang zu einem Lebensabschnitt, den man als körperliche und geistige Reife bezeichnen könnte.

nach obenQuellenangaben

Es gibt keine Quellen, welche die Kultur der Gaviões detailliert beschreiben. Die Ethnologen Roberto da Matta, Expedito Arnaud und Iara Ferraz widmeten sich dem Studium der Beziehungen des Interethnischen Kontakts. Die zuletzt genannte Anthropologin half diesem Volk – neben ihrer Doktorarbeit über den Führer der Gaviões – bei ihren Anstrengungen, die Kontrolle der Paranuss-Produktion selbst zu übernehmen und unterstützte sie bei den Verhandlungen mit den grossen staatlichen Unternehmen, die ihr Territorium mit Strassen und einer Hochspannungsleitung durchquerten.

Leopoldina de Araújo erforschte den Dialekt der Timbira-Sprache, der von den Gaviões gesprochen wird, ab 1974, dieses Studium machte sie dann zum Thema ihrer Doktorarbeit. Auf Grund eines Gesuches von Krohokrenhum, dem Häuptling der Gaviões, der interessiert ist, die Originalsprache wieder einzuführen, hat sie eine zweisprachige Sammlung von Mythen erarbeitet, die als didaktisches Material in das Programm der Dorfschule integriert werden soll.

Das Video von Vincent Carelli “Eu já fui seu irmão” (ich war einmal dein Bruder), zeigt einen Besuch der Gaviões bei den “Kraô“, einer anderen Timbira-Gruppe, und den Gegenbesuch derselben. Dieses Video wurde vom gleichen Direktor, und von Dominique Gallois, in einem Artikel kommentiert. Ausserdem gibt es zwei Videos, die von einem Indio Gavião, mit Namen Xontapti Totore Payroroti aufgenommen wurden.

© Iara Ferraz, Antropologin am Museu Nacional, Januar 2000
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther
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