Indio Totenfest

Zuletzt bearbeitet: 3. Mai 2021

Nach Sonnenuntergang sind dann alle Anwesenden um den riesigen Dorfplatz gruppiert – im fahlen Licht der Gestirne leuchten die weissen Baumwollbänder und Gürtel auf der dunklen Haut, die partiell noch mit Jenipapo nachgedunkelt worden ist. Ein Feuer wird von jungen Kriegern vor dem dekorierten Baumstamm angezündet. Nachdem das Holz gut angebrannt ist und die Flamme den halben Dorfplatz beleuchtet, kauern sich die Pajés (Medizinmänner) aller anwesenden Stämme in einem Halbkreis um den Kam’ywá – sie rauchen aus tönernen Pfeifen und blasen ihren Rauch gegen den geschmückten Stamm – und anschliessend sprechen sie mit dem Geist von Parú.

Zwischen 20 Uhr am Samstagabend und vier Uhr in der Frühe des Sonntags, erweisen alle anwesenden Stämme dem davongegangenen weisen Häuptling der Yawalapiti die grösste aller Ehren – den grossen, gemeinsamen Quarup. Nur die Frauen schlafen in dieser Nacht – wir vorerst nicht, denn wir lauschen alle ganz ergriffen dieser Männerchordarbietung – einem elementaren, gutturalen, tristen und gleichzeitig hinreissenden Sound, den man im Leben nie mehr vergessen kann. Ob ich mal Indianer war in einer früheren Inkarnation?

Junge Camaiura Männer bei der Jagd – Foto: Klaus D. Günther

Schliesslich waren wir so um Mitternacht trotzdem in unsere Hängematten gekrochen, und geschlafen hatten wir auch – trotz der Männerchöre, die während der ganzen Nacht anhielten – aber unsere Körper verlangten einfach ihr Recht. Beim Frühstück zieht Andreas plötzlich ein Tonbandgerät aus seinem Gepäck und wir hören ein paar Ausschnitte von Aufnahmen, die er zwischen den singenden Männern gemacht hat – jetzt geht mir ein Licht auf: deshalb war er plötzlich nicht mehr zu sehen – und ich dachte, ihn trösten zu müssen, wegen der nicht möglichen Filmaufnahmen bei Nacht! Er hat sich selbst getröstet – die Aufnahmen sind wirklich gut geworden – und plötzlich stehen alle Bewohner unserer Oca um uns und das Gerät herum und wollen sich ausschütten vor Lachen, wenn sie den einen oder anderen Vorsänger an seiner Stimme erkennen. Jonas macht dem ein Ende, indem er erklärt, dass wir keine Batterien mehr hätten, und Andreas stellt das Gerät ab. Wer weiss, ob uns sonst die Aufnahmen und das Gelächter der Nachbarn nicht noch in Misskredit gebracht hätten – vielleicht hätte Andreas vorher fragen sollen – sind doch immerhin Gesänge zu Ehren eines Toten!

„Andreas! Film einlegen, in einer knappen halben Stunde fängt der Huka-Huka an!“ Heute beim Ringkampf, der den Quarup beschliesst, bekommen Andreas und Martin ihre Chance für Fotos von allen Teilnehmern – und bei bestem Tageslicht! Punkt 8h00 an diesem schönen Sonntagmorgen soll die Show beginnen. Unser Bad im Fluss lassen wir für später, sind zu knapp in der Zeit. Also begeben wir uns wieder zu unserem Schattendach am Rand des Dorfplatzes. Diesmal müssen wir um viele wartende Männergruppen herummanövrieren und bemerken den einen oder anderen ihrer eingeölten Ringer-Champions dazwischen.

In diesem Moment formieren sich die Yawalapiti zu einem grossen Halbkreis – sofort schliessen die Waura, als Ehrengäste, ihrerseits diesen Kreis, die anderen Teilnehmer verteilen sich gleichmässig hinter dieser Front, die eine innere kreisrunde Arena freihält. Die Kalapâlo sind die Favoriten dieses Wettkampfes, den sie letztes Jahr schon zum zweiten Mal gewonnen haben – wenn man ihre relativ grossen, gut proportionierten Körper betrachtet, kommen einem keine Zweifel an ihrer Überlegenheit, höchstens an den Chancen der andern. Tafukumã, ihr Häuptling, führt seine Kämpfer in die Mitte des Platzes – gleich acht kräftig gebaute Krieger, die, so scheint es mir, jetzt schon siegessicher in die Runde blicken – jedenfalls haben sie den Hals gereckt und das Kinn vorgeschoben und blicken drein, als ob sie Kinder erschrecken wollten. Ein anerkennendes Raunen geht durch die Menge. Die Kalapâlo-Champions sind nackt bis auf einen Baumwollgürtel und dicke Knieschützer, ebenfalls aus Baumwolle. Ihre Körper sind mit kleinen roten und schwarzen Ringen bemalt – „das Zeichen des Jaguars“, raunt mir Jonas zu.

Es scheint endlich loszugehen. Aritâna spricht ein paar Worte – das heisst, er schreit sie eher, damit sie auch von allen Anwesenden gehört werden können – mehr als 1.100 Indianer sind zum Quarup seines Vaters Parú hier zusammengekommen. Dann tritt sein Ehrengast, der alte Häuptling der Waura etwas vor in den Kreis. Seine Worte spricht er, auf eine grosse Keule gestützt. Beide Ansprachen, die auch die Aufforderung an alle Teilnehmer enthalten, sich dem Ringkampf zu stellen, dauern nur wenige Minuten. Als der Häuptling der Waura sich aus dem Kreis zurückzieht, lassen die Zuschauer ihr rhythmisches „HukaHukaHukaHuka“ hören – die ersten Gegner für die Kalapâlos erscheinen etwas zaghaft in der Kreismitte. Sie sind alle ebenso spärlich bekleidet – jeder in seiner bevorzugten Bemalung – jedoch fällt der eine oder andere durch seinen eingeölten Körper auf. Mit diesem Trick will er wohl einem überlegenen Gegner das Zupacken erschweren. So an die fünfzig Athleten zähle ich, die sich innerhalb des Kreises eingefunden haben, es sind zwar auch ein paar furchterregende Muskelprotze darunter, aber die meisten sind ganz normal gebaute junge Männer.

Aritâna, der Herr und Gastgeber des Festes und auch der Kämpfe, begibt sich unter die Ringer und ruft zwei Namen auf – diese beiden knien sich voreinander auf den Boden (jetzt verstehen wir alle den Sinn der Knieschützer), während sich der Rest der Kandidaten in die äussere Kreisperipherie zurückzieht. Das aufreizende „HukaHukaHuka!“ der Menge ertönt wieder – die beiden Gegner umkreisen sich jetzt, entgegen dem Uhrzeigersinn, aber immer auf den Knien. Dann halten sie einen Moment inne – starren sich an – packen zu und versuchen nun sich gegenseitig auszuhebeln, hochzuheben und auf den Rücken zu werfen. Gleich bei diesem ersten Kampf können wir die Überlegenheit des ersten Kalapâlo beobachten, mit der er den fettglänzenden Yawalapiti-Mann überlistet: er packt zuerst dessen ölige Arme, klatscht dann die eine Hand in den Staub des Bodens und gleich darauf die andere, während er sich den Gegner mit nur einem Arm vom Leibe hält. Dann packt er mit den jetzt abrutschfesten Händen erbarmungslos zu und wirft den Yawalapiti blitzschnell auf den Rücken – aus ist der Kampf. Es gibt keinen Schiedsrichter, sondern obliegt den Athleten selbst, Sieg oder Niederlage anzuerkennen. Es gibt auch keine Trophäen für die Gewinner – nur die Anerkennung ihres Volkes und den Respekt. Der Yawalapiti zieht sich zurück – der Kalapâlo bleibt. Er wird an weiteren Kämpfen teilnehmen.

Nach diesem Eröffnungskampf gruppieren sich drei bis vier Ringer-Paare auf einmal im Kreis – alle von Aritâna aufgerufen und dirigiert. Die einzelnen Durchgänge dauern lediglich ein paar Minuten, aber alles läuft geordnet und sehr diszipliniert ab – kein Aufbegehren eines Muskelprotzes, keine Schmährufe aus den Reihen der Zuschauer – nur ihr anfeuerndes „HukaHukaHuka!“ Jedes Mal, wenn sich die siegreichen Ringer zu einer Pause in die äussere Kreisperipherie zurückziehen, eilen ihre Frauen, Mütter oder Schwestern herbei, um ihnen Mingau (Maniokbrei) zur Stärkung anzubieten, denn während des Kampfes trinken die Männer kein Wasser. Und während sie ihm die Kalebasse an den Mund führt singt sie ihm eine liebliche Weise ins Ohr – „einen Kraft spendenden Kriegsgesang“, erklärt Jonas.

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: Die Bilder von Klaus D. Günther stammen aus den frühen 80er Jahren!

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